Page 395 - Stati inu obstati, revija za vprašanja protestantizma, letnik VIII (2012), številka 15-16, ISSN 1408-8363
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SYNOPSES, ZUSAMMENFASSUNGEN

seines Vortrags an der Universität Maribor am 28. Juni 2012. Friedliches
Zusammenleben der Völker in unserer pluralistischen Gesellschaft kann nur
geschehen angesichts eines allgemein verbindlichen ethischen Konsenses als
Grundlage für jene Brücken, die zu errichten sind zwischen „Menschen unter-
schiedlicher Religionen, zwischen religiösen und nicht-religiösen Menschen,
zwischen Menschen verschiedener Kulturen“.

Keine singuläre Religion oder Ideologie vermag ethische Normen für die
gesamte Weltgemeinschaft anzubieten. Christliche Wertvorstellungen reichen
kaum über die engen Mauern der Kirchen hinaus. Küng: „Es ist also politisch
nicht realistisch und weder philosophisch noch theologisch legitim, in der
heutigen pluralistischen Situation alle Menschen Europas von Staats wegen
auf christliche Werte festlegen zu wollen.“

Demokratien ohne Moral sind bekanntlich gefährdet. Speziell im demo-
kratischen Europa wird der Ruf nach einem ethischen Fundament hörbar, dem
alle Menschen zustimmen können. In unserer das Bild Europas bestimmenden
Vielfalt von postkommunistischer Neuorientierung, kirchlich-traditionellen
Moralvorstellungen, wirtschaftlichem Vorherrschaftsringen und versiegendem
Dialog zwischen den Religionen ist ein neues Ethik-Bewusstsein nötig, welches
eine tragfähige Basis schafft für eine friedvolle Existenz aller.

Hans Küng geht vor allem von drei Problemkreisen aus: religiöser Funda-
mentalismus, rigoroser Moralismus und postmoderner „Beliebigkeitsplu-
ralismus“. Zur Überwindung solcher -Ismen wird ein Europa auf ethischem
Fundament gefordert, ein „dritter Weg: weder eine säkularistisch-technokra-
tische Ideologie von Europa, die total unreligiös ist, noch eine vormodern-
hierarchische Ideologie, die völlig undemokratisch ist.“ Küng erinnert an den
1992 geäußerten Aufruf des damaligen EU-Kommissionspräsidenten Jacques
Delors: „Wenn es uns in den kommenden zehn Jahren nicht gelingt, Europa
eine Seele zu geben, eine geistige Dimension, eine wahre Bedeutung, haben wir
unsere Zeit vergeudet. […] Europa kann nicht von rechtlichen Argumenten und
ökonomischem Know-How allein leben.“ Dies seien die Wurzeln der gegen-
wärtigen Krise der EU und ihrer abnehmenden Akzeptanz in manchen Staaten.

Nur eine allen Menschen gemeinsame ethische Grundhaltung („Weltethos“)
führt zu autonomer Selbstverwirklichung und solidarischer Verantwortung.
Ein solcher Ethos-Begriff trennt nicht Glaubende von Nichtglaubenden, spal-
tet nicht Parteimitglieder unterschiedlicher Provenienz oder Gesellschafts-
schichten divergierenden Niveaus an Bildung oder Lebensstandard. Küng
entwirft die Hoffnungsvision eines kühnen, vielleicht utopisch wirkenden
„Menschheitsethos“, eines Bandes über alle Grenzen und Grenzziehungen
hinweg.

Eine „Weltethos-Erklärung“ des „Parlaments der Weltreligionen“ wäre von
außerordentlicher Dringlichkeit. Die Humanitäts- und das Gegenseitigkeits-
prinzipien gelten für jeden Menschen, gleich „ob Mann oder Frau, Israeli oder

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