Page 55 - Weiss, Jernej, ur. 2020. Konservatoriji: profesionalizacija in specializacija glasbenega dela ▪︎ The conservatories: professionalisation and specialisation of musical activity. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 4
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alte und neue musik in praxis und lehre an der universität in freiburg im breisgau
Für seinen ersten Vortrag am 29. Mai 1922 wählte Erpf die beiden ers-
ten Sätze von Arnold Schönbergs Streichquartett op. 10, wobei der zweite
Satz wiederholt wurde. Am 12. Februar 1923 stellte er Ernst Kreneks Streich-
quartett op. 6 und Egon Wellesz’ 4. Streichquartett op. 28 vor. Für das Hin-
demith-Programm am 6. Mai, in dem die Sonate für Cello solo op. 25 Nr. 3
uraufgeführt wurde, hatte man das Amar-Quartett, in dem Hindemith als
Bratschist mitwirkte, verpflichten können. Man bot mithin vielfältige Pro-
gramme, die offen für alle Musikströmungen der Zeit waren. Um eine grö-
ßere Öffentlichkeit für die zeitgenössische Musik zu interessieren, gliederte
Erpf die Konzerte in die von Ewald Lindemann, dem neuen Kapellmeister
des Stadttheaters gegründete Arbeitsgemeinschaft für neue Musik ein.
In einem ausführlichen Artikel im Januar/Februar-Heft 1927 von Pult
und Taktstock mit dem Titel Erziehung zum Verständnis zeitgenössischer
Musik3 stellte Erich Katz das Engagement für Neue Musik in Freiburg i.
Br. als Vorbild und Anregung für andere Städte vergleichbarer Größenord-
nung vor:
Freiburg, eine mittelgroße Universitätsstadt mit einem Theater von
gutem Durchschnitt und regsamen Konzerunternehmungen, un-
terschied sich im übrigen in nichts von dem Charakter und der Tä-
tigkeit zahlreicher ähnlicher Städte. Der erste Anstoß zu einer be-
wussten Pflege zeitgenössischer Musik ging, ein seltener und darum
um so rühmlicherer Fall, von der Universität aus. Wilibald Gur-
litt, der seit 1919 dort wirkende Professor der Musikwissenschaft,
begann damit, in seinem Collegium Musicum regelmäßige Vorträ-
ge mit Vorführungen moderner Musik zu bringen; die Berufung ei-
nes Lektors für Musiktheorie und moderne Musik […] Hermann E
r p f, der seit dem Frühjahr die Leitung dieser modernen Collegia
Musica übernahm, ermöglichte es, das Ganze auf eine breitere Ba-
sis zu stellen. So wurden, neben ständigen Vorlesungen und Übun-
gen über Probleme und Gegenstände neuer Musik, in den Jahren
1921 bis 1923 etwa 20 öffentliche Veranstaltungen gebracht, immer-
hin zu einer Zeit, da den mittleren Schönberg zu spielen noch ein
Wagnis war, das oft mit Zischen und Pfeifen belohnt wurde; da ein
Komponist wie Krenek eben erst ‚entdeckt’, andere […] noch weit
vor ihrer Entdeckung standen. […] So wurde in einer segensreichen
3 Erich Katz, „Erziehung zum Verständnis zeitgenössischer Musik (Die Freiburger
‚Arbeitsgemeinschaft für neue Musik‘)“, in Pult und Taktstock 4 (Januar/Februar
1927): 6–11.
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Für seinen ersten Vortrag am 29. Mai 1922 wählte Erpf die beiden ers-
ten Sätze von Arnold Schönbergs Streichquartett op. 10, wobei der zweite
Satz wiederholt wurde. Am 12. Februar 1923 stellte er Ernst Kreneks Streich-
quartett op. 6 und Egon Wellesz’ 4. Streichquartett op. 28 vor. Für das Hin-
demith-Programm am 6. Mai, in dem die Sonate für Cello solo op. 25 Nr. 3
uraufgeführt wurde, hatte man das Amar-Quartett, in dem Hindemith als
Bratschist mitwirkte, verpflichten können. Man bot mithin vielfältige Pro-
gramme, die offen für alle Musikströmungen der Zeit waren. Um eine grö-
ßere Öffentlichkeit für die zeitgenössische Musik zu interessieren, gliederte
Erpf die Konzerte in die von Ewald Lindemann, dem neuen Kapellmeister
des Stadttheaters gegründete Arbeitsgemeinschaft für neue Musik ein.
In einem ausführlichen Artikel im Januar/Februar-Heft 1927 von Pult
und Taktstock mit dem Titel Erziehung zum Verständnis zeitgenössischer
Musik3 stellte Erich Katz das Engagement für Neue Musik in Freiburg i.
Br. als Vorbild und Anregung für andere Städte vergleichbarer Größenord-
nung vor:
Freiburg, eine mittelgroße Universitätsstadt mit einem Theater von
gutem Durchschnitt und regsamen Konzerunternehmungen, un-
terschied sich im übrigen in nichts von dem Charakter und der Tä-
tigkeit zahlreicher ähnlicher Städte. Der erste Anstoß zu einer be-
wussten Pflege zeitgenössischer Musik ging, ein seltener und darum
um so rühmlicherer Fall, von der Universität aus. Wilibald Gur-
litt, der seit 1919 dort wirkende Professor der Musikwissenschaft,
begann damit, in seinem Collegium Musicum regelmäßige Vorträ-
ge mit Vorführungen moderner Musik zu bringen; die Berufung ei-
nes Lektors für Musiktheorie und moderne Musik […] Hermann E
r p f, der seit dem Frühjahr die Leitung dieser modernen Collegia
Musica übernahm, ermöglichte es, das Ganze auf eine breitere Ba-
sis zu stellen. So wurden, neben ständigen Vorlesungen und Übun-
gen über Probleme und Gegenstände neuer Musik, in den Jahren
1921 bis 1923 etwa 20 öffentliche Veranstaltungen gebracht, immer-
hin zu einer Zeit, da den mittleren Schönberg zu spielen noch ein
Wagnis war, das oft mit Zischen und Pfeifen belohnt wurde; da ein
Komponist wie Krenek eben erst ‚entdeckt’, andere […] noch weit
vor ihrer Entdeckung standen. […] So wurde in einer segensreichen
3 Erich Katz, „Erziehung zum Verständnis zeitgenössischer Musik (Die Freiburger
‚Arbeitsgemeinschaft für neue Musik‘)“, in Pult und Taktstock 4 (Januar/Februar
1927): 6–11.
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