Page 151 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2021. Opereta med obema svetovnima vojnama ▪︎ Operetta between the Two World Wars. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 5
P. 151
die ukrainische operette der 1920er und 1930er jahre ...
Von Mitte der 1920er bis Ende der 1930er Jahre fand die sogenann
te Staatlichkeit [man denkt hier an ideologische Kontrolle – L.
K.] von Theatern dieses Genres statt ... Die Projektion der Bestre
bungen sowjetischer Regierung auf die Operette ist ziemlich eigen
artig. Es scheint, als ob die Operette nicht dem allgemeinen Pro
zess [sowjetischer Ideologisierung – L. K.] folgt, ihr traditionelles
Repertoire noch eine lange Zeit nicht sprengen läßt, wie es von ihr
verlangt wird, gibt die Ästhetik, die lange vor den Ereignissen der
Oktoberrevolution entwickelt wurde, nicht auf. Sie manövrierte er
finderisch und baute sich organisatorisch neu um – von Unterneh
men zu staatlichen Institutionen ... in Diskussionen über die Ope
rette der 1920–1930er Jahre zeigte sich etwas anderes. Nämlich: Die
Operette wird nicht geleugnet – sie wird unter Kontrolle gebracht!7
All diese Umstände wirkten sich unmittelbar auf die ukrainische Ope-
rette aus. Dabei gilt es zu betonen, dass für die Ukrainer die Musikkomö-
die seit Anfang des 19. Jahrhunderts ein wichtiger Teil des Repertoires ge-
wesen war. Die Liebe zur Operette wurzelt also tief in der Vergangenheit.
In den 1920er Jahren, in der Zeit der Neuen Wirtschaftspolitik der So-
wjetregierung, als sich die materielle Lage des Volkes nach dem Krieg ein
bisschen verbesserte, nehmen mehrere ukrainische Städte – insbesondere
Charkiw, die damalige Hauptstadt der sowjetischen Ukraine – die Operet-
te mit großer Begeisterung auf. Hier möchte ich ein Zitat aus dem Artikel
des Kritikers Illa Turkeltaub Operette in der Ukraine in der St. Petersbur-
ger Zeitschrift Das Kunstleben (Жизнь искусства, Nr. 5 für 1925) anführen:
Die Operette in der Ukraine blüht prachtvoll. Diven bezaubern mit
ihren luxuriösen Toiletten und Diamanten. Das Publikum füllt die
Hallen bis zum letzten Platz. Heute gibt es in der Ukraine keine sol
che Lücke, aus der eine Operettentruppe mit Moskauer Stars nicht
herausragen würde. Jede Stadt hat ein eigenes Operettentheater,
und in der Hauptstadt Charkow gibt es drei auf einmal. Die Be
wohner von Charkiw füllen den größten Theatersaal – das Mussu
rie-Theater – mit zweitausend Sitzplätzen und geben den alternden
7 Aleksandr Kolesnikow, „Жанр оперетты в российской театральной культуре и
критике XX века. Вступительная статья“ [Die Gattung der Operette in der rus-
sischen Theaterkultur und in der Kritik des 20. Jahrhunderts. Einführungsartikel],
in Оперетта в России и СССР в ХХ веке: библиография [Operette in Rußland
und in der UdSSR: Bibliographie] (Moskau-Jekaterinburg: Swerdlowsche Abteilung
des Vereins für Theaterkünstler der Russischen Föderation u. a., 2013): 5–7.
149
Von Mitte der 1920er bis Ende der 1930er Jahre fand die sogenann
te Staatlichkeit [man denkt hier an ideologische Kontrolle – L.
K.] von Theatern dieses Genres statt ... Die Projektion der Bestre
bungen sowjetischer Regierung auf die Operette ist ziemlich eigen
artig. Es scheint, als ob die Operette nicht dem allgemeinen Pro
zess [sowjetischer Ideologisierung – L. K.] folgt, ihr traditionelles
Repertoire noch eine lange Zeit nicht sprengen läßt, wie es von ihr
verlangt wird, gibt die Ästhetik, die lange vor den Ereignissen der
Oktoberrevolution entwickelt wurde, nicht auf. Sie manövrierte er
finderisch und baute sich organisatorisch neu um – von Unterneh
men zu staatlichen Institutionen ... in Diskussionen über die Ope
rette der 1920–1930er Jahre zeigte sich etwas anderes. Nämlich: Die
Operette wird nicht geleugnet – sie wird unter Kontrolle gebracht!7
All diese Umstände wirkten sich unmittelbar auf die ukrainische Ope-
rette aus. Dabei gilt es zu betonen, dass für die Ukrainer die Musikkomö-
die seit Anfang des 19. Jahrhunderts ein wichtiger Teil des Repertoires ge-
wesen war. Die Liebe zur Operette wurzelt also tief in der Vergangenheit.
In den 1920er Jahren, in der Zeit der Neuen Wirtschaftspolitik der So-
wjetregierung, als sich die materielle Lage des Volkes nach dem Krieg ein
bisschen verbesserte, nehmen mehrere ukrainische Städte – insbesondere
Charkiw, die damalige Hauptstadt der sowjetischen Ukraine – die Operet-
te mit großer Begeisterung auf. Hier möchte ich ein Zitat aus dem Artikel
des Kritikers Illa Turkeltaub Operette in der Ukraine in der St. Petersbur-
ger Zeitschrift Das Kunstleben (Жизнь искусства, Nr. 5 für 1925) anführen:
Die Operette in der Ukraine blüht prachtvoll. Diven bezaubern mit
ihren luxuriösen Toiletten und Diamanten. Das Publikum füllt die
Hallen bis zum letzten Platz. Heute gibt es in der Ukraine keine sol
che Lücke, aus der eine Operettentruppe mit Moskauer Stars nicht
herausragen würde. Jede Stadt hat ein eigenes Operettentheater,
und in der Hauptstadt Charkow gibt es drei auf einmal. Die Be
wohner von Charkiw füllen den größten Theatersaal – das Mussu
rie-Theater – mit zweitausend Sitzplätzen und geben den alternden
7 Aleksandr Kolesnikow, „Жанр оперетты в российской театральной культуре и
критике XX века. Вступительная статья“ [Die Gattung der Operette in der rus-
sischen Theaterkultur und in der Kritik des 20. Jahrhunderts. Einführungsartikel],
in Оперетта в России и СССР в ХХ веке: библиография [Operette in Rußland
und in der UdSSR: Bibliographie] (Moskau-Jekaterinburg: Swerdlowsche Abteilung
des Vereins für Theaterkünstler der Russischen Föderation u. a., 2013): 5–7.
149