Page 152 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2021. Opereta med obema svetovnima vojnama ▪︎ Operetta between the Two World Wars. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 5
P. 152
opereta med obema svetovnima vojnama
Operettendiven mit tiefem Ausschnitt und nacktem Rücken ste
hende Ovationen. Heute gibt es in der Ukraine ungefähr fünfzig
Operettentruppen unterschiedlichen Kalibers!!!8
Nach diesen allgemeinen Voraussetzungen scheint man sich erstrangig
auf die Personalien der wichtigsten ukrainischen Operettenkomponisten
zu konzentrieren, um damit zu zeigen, wie grausam die gesellschaftspoli-
tischen Entwicklungen in totalitären Regimes das Schicksal des Künstlers
selbst und vor allem die Rolle seines Schaffens im offenen Kulturleben be-
einflussen, wie oft Sinn und Bedeutung des Kunstwerks über lange Jahre
verfälscht sind, und das selbst dann, wenn es um eine so weit von der Poli-
tik entfernte musiktheatralische Gattung wie die Operette geht. Als krasses
Beispiel zu dieser These wählte ich den Lebenslauf und das Schaffen zweier
Autoren populärer Operetten aus den beiden Teilen, in denen in der Zwi-
schenkriegsperiode viele Ukrainer gelebt haben: aus dem sowjetischen Teil
von Oleksij Rjabow (1899–1955) und aus dem polnischen Teil von Jaroslaw
Barnytsch (1896–1967).
Der Lebenslauf von Oleksij Rjabow, insbesondere zu Beginn sei-
ner Karriere als Komponist, könnte als Vorlage für einen typischen Hol-
lywood-Film über einen Selfmademan dienen.
Aus der Autobiographie des Komponisten:
... Ich wurde am 30. März (11. April nach dem neuen Stil) 1899 in
Charkiw geboren. An meine Eltern kann ich mich nicht erinnern.
Erzogen hat mich meine Tante. Als ich sechs Jahre alt wurde, brach
te sie mich nach Orjol, um mich dort in ein Waisenhaus zu geben.
Und als sie mich da nicht aufgenommen hatten, ließ sie mich auf
der Straße stehen. Zwei Jahre verbrachte ich in diesem Heim.
1908 wurde ich zur Erziehung in ein Infanterieregiment unweit von
Orjol aufgenommen, wo man im Blasorchester lernte, unterschied
liche Instrumente zu spielen. Vor dem Ersten Weltkrieg durfte ich
gehen und ... ich fand mich in meiner Heimatstadt Charkiw wieder
mit dem unwiderstehlichen Wunsch, ernsthaft Musik zu studieren.
Ich bewarb mich an der Musikschule Charkiw. Der Schuldirektor
Ilja Slatin hörte sich mein Geigenspiel aufmerksam an, das ich mir
selbst angeeignet hatte. Ich wurde aufgenommen und erhielt das
8 Juri Stanischewski, „Українська оперета: проблеми, пошуки, парадокси“ [Die
ukrainische Operette: Probleme, Suchen, Paradoxe], Просценіум [Proszenium], Nr.
3 (2005): 36.
150
Operettendiven mit tiefem Ausschnitt und nacktem Rücken ste
hende Ovationen. Heute gibt es in der Ukraine ungefähr fünfzig
Operettentruppen unterschiedlichen Kalibers!!!8
Nach diesen allgemeinen Voraussetzungen scheint man sich erstrangig
auf die Personalien der wichtigsten ukrainischen Operettenkomponisten
zu konzentrieren, um damit zu zeigen, wie grausam die gesellschaftspoli-
tischen Entwicklungen in totalitären Regimes das Schicksal des Künstlers
selbst und vor allem die Rolle seines Schaffens im offenen Kulturleben be-
einflussen, wie oft Sinn und Bedeutung des Kunstwerks über lange Jahre
verfälscht sind, und das selbst dann, wenn es um eine so weit von der Poli-
tik entfernte musiktheatralische Gattung wie die Operette geht. Als krasses
Beispiel zu dieser These wählte ich den Lebenslauf und das Schaffen zweier
Autoren populärer Operetten aus den beiden Teilen, in denen in der Zwi-
schenkriegsperiode viele Ukrainer gelebt haben: aus dem sowjetischen Teil
von Oleksij Rjabow (1899–1955) und aus dem polnischen Teil von Jaroslaw
Barnytsch (1896–1967).
Der Lebenslauf von Oleksij Rjabow, insbesondere zu Beginn sei-
ner Karriere als Komponist, könnte als Vorlage für einen typischen Hol-
lywood-Film über einen Selfmademan dienen.
Aus der Autobiographie des Komponisten:
... Ich wurde am 30. März (11. April nach dem neuen Stil) 1899 in
Charkiw geboren. An meine Eltern kann ich mich nicht erinnern.
Erzogen hat mich meine Tante. Als ich sechs Jahre alt wurde, brach
te sie mich nach Orjol, um mich dort in ein Waisenhaus zu geben.
Und als sie mich da nicht aufgenommen hatten, ließ sie mich auf
der Straße stehen. Zwei Jahre verbrachte ich in diesem Heim.
1908 wurde ich zur Erziehung in ein Infanterieregiment unweit von
Orjol aufgenommen, wo man im Blasorchester lernte, unterschied
liche Instrumente zu spielen. Vor dem Ersten Weltkrieg durfte ich
gehen und ... ich fand mich in meiner Heimatstadt Charkiw wieder
mit dem unwiderstehlichen Wunsch, ernsthaft Musik zu studieren.
Ich bewarb mich an der Musikschule Charkiw. Der Schuldirektor
Ilja Slatin hörte sich mein Geigenspiel aufmerksam an, das ich mir
selbst angeeignet hatte. Ich wurde aufgenommen und erhielt das
8 Juri Stanischewski, „Українська оперета: проблеми, пошуки, парадокси“ [Die
ukrainische Operette: Probleme, Suchen, Paradoxe], Просценіум [Proszenium], Nr.
3 (2005): 36.
150