Page 63 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2023. Glasbena društva v dolgem 19. stoletju: med ljubiteljsko in profesionalno kulturo ▪︎ Music societies in the long 19th century: Between amateur and professional culture. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 6
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zur kulturellen und politischen bedeutung der deutschen männergesangvereine

prägten Gesellschaft5 zu weitgehender Toleranz veranlasst. So sangen Män-
nerchöre ganz selbstverständlich in Kirchen und sogar zum Gottesdienst,
auch wenn dies nicht ihr hauptsächliches Betätigungsfeld darstellte und es
gravierende regionale Unterschiede gab. Im katholischen Rheinland etwa
besaßen die Männerchöre keine nennenswerte Bedeutung. Gerade die rö-
misch-katholische Kirche galt als „transmontan“, was dem Nationalgedan-
ken fundamental entgegenstand.

Mitte des 19. Jahrhunderts kamen die ersten Zeitschriften für Män-
nerchöre heraus, und gleich im ersten Jahrgang der Teutonia bespricht der
Herausgeber Julius Schladebach ein „Concert des Universitäts-Sängerver-
eins“, gegründet 1822 als Universitätssängerverein an der St. Pauluskirche,
also als Kirchenchor. Ursprünglich aus 16 Sängern bestehend wuchs der
Männerchor schnell, und die Gründungsmitglieder verloren damit einige
Privilegien.

Ebenso verschwand im Laufe der Jahre der oben angedeutete kirch­
liche Zweck des Vereines immer mehr und mehr, und die Ausübung
des weltlichen Gesanges begann die Oberhand zu gewinnen, so dass
jetzt die letzte Spur dieser kirchlichen Tendenz sich nur noch in der,
alle vier bis sechs Wochen erfolgenden Aufführung eines kirchli­
chen Gesangstückes in der St. Pauluskirche zeigt, deren jedesmali­
ger Organist, jetzt Herr Langer, Director des Vereines ist.6

Gleich anschließend rezensiert Julius Schladebach die Ausgabe der bi-
blischen Szene Das Liebesmahl der Apostel von Richard Wagner und ver-
reißt das Stück vollkommen, vor allem prangert er die „gewährte Selbst­
vergötterung und eitle Anmassung“ des Komponisten an.7 Im nächsten
Jahrgang findet sich dann auch eine Bemerkung wie: „Die katholische Reli­
gion und die Verdummung begegnen sich sehr oft!“8 Dies darf wohl als Ent-
gleisung aus der Frühzeit der Bewegung durchgehen, denn in den 1860er

5 Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800-1866. Bürgerwelt und starker Staat
(München: Beck, 1983), hier zitiert nach der broschierten Sonderausgabe (München:
Beck, 1998), 403: „Das deutsche 19. Jahrhundert ist noch immer ein christliches, ein
kirchlich geprägtes Zeitalter“.

6 Julius Schladebach, „Concert des Universitäts-Sängervereins“, Teutonia. Literarisch-
kritische Blätter für den deutschen Männergesang 1, Nr. 4 (1846): 59.

7 Julius Schladebach, „Recensionen. Das Liebesmahl der Apostel. Bibl. Scene für Män-
nerstimmen und grosses Orchester, von Richard Wagner“, Teutonia. Literarisch-kri­
tische Blätter für den deutschen Männergesang 1, Nr. 4 (1846): 60–3, hier 63.

8 Theodor Hagen, „Ueber die Volksweise und die Volksliedertafel“, Teutonia. Litera­
risch-kritische Blätter für den deutschen Männergesang 2, Nr. 4 (1847): 53–62, hier 59.

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