Page 67 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2023. Glasbena društva v dolgem 19. stoletju: med ljubiteljsko in profesionalno kulturo ▪︎ Music societies in the long 19th century: Between amateur and professional culture. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 6
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zur kulturellen und politischen bedeutung der deutschen männergesangvereine

sikanschauung ableitet, ein Komponist könne Meisterwerke nur dann
schaffen, wenn sie seiner innersten Überzeugung entsprächen. Gleichzei-
tig mit dem Festgesang an die Künstler als künstreligiöses Bekenntnis hat
Mendelssohn 1846 ein katholisches Lauda Sion (MWV A 24) ebenso wie ei-
nen Elias op. 70 (MWV A 25) in jüdisch-christlich/protestantischer Traditi-
on komponiert, die in der musikalischen Faktur jeweils Erwartungen und
sogar Fähigkeiten der Ausführenden berücksichtigen. Dies entspricht dem
Verständnis des Künstlers, als Meister seines Faches seine Schaffenskraft in
den Dienst der Gesellschaft in ihren verschiedenen Facetten zu stellen und
der jeweiligen Situation angemessen zu gestalten, sich eben nicht als welt-
anschaulicher Prophet einer speziellen Position, dann als Wahrheit apost-
rophiert, zu verschreiben. Dass in dem Bericht aus Oberschlesien Mendels-
sohns Festgesang dann gerade mit Wagners Pilgerchor aus dem Tannhäuser
in einem Atemzug genannt wird, also dem demütigen Gesang christli-
cher Pilger, entbehrt nicht der Ironie. Persönlich blieb Mendelssohn zeitle-
bens der jüdisch-christlichen Tradition verbunden, während Wagner sich
der feuerbachianischen Religionskritik anschloss und dem Germanenkult
zuwandte. Nach seinem Lohengrin, in dem er noch den Sieg eines hellen
Christentums über ein finsteres germanisches Heidentum feiert, hat er mit
dem Ring des Nibelungen die Ausnahmepersönlichkeit, seinen Siegfried,
religiös überhöht. Die letzten Worte Brunhildes an den toten Siegfried lau-
ten: „Ruhe! Ruhe, du Gott!“

Groß besetzte Männerchorkompositionen mit martialischem Inhalt
hat Franz Lachner (1803–1890) geschaffen: 1847 Kriegers Gebet für vier-
stimmigen Männerchor und vollständige Militaire Musik oder Piano-For-
te-Begleitung op. 89, Mainz-Antwerpen-Brüssel (B. Schott`s Söhne). Der
Text beginnt „Du bist, o Herr mein Stern bei Nacht, du meine Sonn’ bei
Tage“. Wird hier in traditioneller Weise der christliche Gott angesprochen,
so wählt Lachner 1857 für ein Bardiet (eine von Klopstock geschaffene Be-
zeichnung für ein vaterländisches Gedicht) von Friedrich Gottlob Klop-
stock aus dem Stück Hermanns Schlacht den germanischen Wodan (oder
Wotan) als Schutzherrn aus:

Geschlagen ist die blutige Todesschlacht!
Erkämpft der Sieg!
Der Legionen drohendes Kriegsgeschrei, der Feldherrn stolzes Rufen
Ist stumm wie das Grab.
Wodan hat den hohen Wagen gewandt
hinüber nach Walhalla!

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