Page 66 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2023. Glasbena društva v dolgem 19. stoletju: med ljubiteljsko in profesionalno kulturo ▪︎ Music societies in the long 19th century: Between amateur and professional culture. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 6
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glasbena društva v dolgem 19. stoletju: med ljubiteljsko in profesionalno kulturo
im Dienste der Kirche, sondern im Dienste der Kunst selbst“.15 In der Deut-
schen Gesangvereinszeitung Die neue Sängerhalle führt der Bügerschulleh-
rer Belzing in seinem Vortrag über „Das alte deutsche Volkslied“ aus:
die Germanen […] schufen Lieder und Melodien, in denen Walhal
la, ihre Götter und Göttinnen, gefallene Helden, Becherspiele und
Jagd gefeiert wurden. Das Christenthum, welches die heidnischen
Altäre stürzte, die Eichenhaine vereinsamte, verwehte leider auch
diese Melodien.16
Neu entstanden sei dann ein christlich-germanischer Volksgesang.
Neben flammenden Plädoyers für Patriotismus enthält dieselbe Zeitung
daneben regelmäßig eine, wenn auch kleine Rubrik mit Berichten über
Auftritte von Männerchören in Kirchen und im Gottesdiensten. Wie breit
die Männergesangvereine gesellschaftspolitisch aufgestellt waren, beleuch-
tet schlaglichtartig auch ein Bericht aus Oberschlesien: „Von den Massenge
sängen erwähnen wir W. Tschirchs Hymne: Gott, Vaterland und Liebe, Men
delssohn’s Hymne: Gruß an die Künstler und Wagner’s Pilgerchor aus dem
Tannhäuser“.17
Repräsentiert die Hymne von Wilhelm Tschirch das nationalreli-
giöse Weltbild der Männergesangvereine mit ihrem Glauben an die sozi-
al heilenden Kräfte des nationalen Einigungsprojekts, so apostrophiert der
Festgesang an die Künstler nach Schillers Gedicht op. 68 von Felix Mendels-
sohn Bartholdy die gesamtgesellschaftlich zu verantwortende Aufgabe der
Künstler zur Bewahrung „der Menschheit Würde“. Komponiert zur Eröff-
nung des ersten deutsch-flämischen Sängerfestes 1846 in Köln thematisiert
sie den hohen Anspruch der Männergesangvereine auf soziale Führungs-
position. Mendelssohn war mit diesem und anderen Stücken wie „Wer hat
dich, du schöner Wald“ (Der Jäger Abschied op. 50, Nr. 2) zu einem Lieb-
lingskomponisten der Männergesangvereine avanciert (dem auch später
noch kein Antisemitismus etwas anhaben konnte), dem er sich mit vielen
freundlichen Gesten erkenntlich zeigte. Ihn deshalb als Person der fort-
schrittlichen Auffassung der Männerchöre zuzuordnen, wie es häufig ge-
schieht, ist allerdings ein Kurzschluss, der sich aus der romantischen Mu-
15 Ibid., 3.
16 E., „Chemniker Sängerbund“, Die neue Sängerhalle. Deutsche Gesangvereinszeitung
für das In- und Ausland III, Nr. 34 (20. August 1864): 268.
17 W. Karel, „Füllhorn. Aus Oberschlesien“, Deutsche Männer-Gesangs-Zeitung II, Nr.
6 (1861): 35. Zu Mendelssohns Festgesang an die Künstler op. 68 siehe auch Klenke,
Der singende „deutsche Mann“, 7.
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im Dienste der Kirche, sondern im Dienste der Kunst selbst“.15 In der Deut-
schen Gesangvereinszeitung Die neue Sängerhalle führt der Bügerschulleh-
rer Belzing in seinem Vortrag über „Das alte deutsche Volkslied“ aus:
die Germanen […] schufen Lieder und Melodien, in denen Walhal
la, ihre Götter und Göttinnen, gefallene Helden, Becherspiele und
Jagd gefeiert wurden. Das Christenthum, welches die heidnischen
Altäre stürzte, die Eichenhaine vereinsamte, verwehte leider auch
diese Melodien.16
Neu entstanden sei dann ein christlich-germanischer Volksgesang.
Neben flammenden Plädoyers für Patriotismus enthält dieselbe Zeitung
daneben regelmäßig eine, wenn auch kleine Rubrik mit Berichten über
Auftritte von Männerchören in Kirchen und im Gottesdiensten. Wie breit
die Männergesangvereine gesellschaftspolitisch aufgestellt waren, beleuch-
tet schlaglichtartig auch ein Bericht aus Oberschlesien: „Von den Massenge
sängen erwähnen wir W. Tschirchs Hymne: Gott, Vaterland und Liebe, Men
delssohn’s Hymne: Gruß an die Künstler und Wagner’s Pilgerchor aus dem
Tannhäuser“.17
Repräsentiert die Hymne von Wilhelm Tschirch das nationalreli-
giöse Weltbild der Männergesangvereine mit ihrem Glauben an die sozi-
al heilenden Kräfte des nationalen Einigungsprojekts, so apostrophiert der
Festgesang an die Künstler nach Schillers Gedicht op. 68 von Felix Mendels-
sohn Bartholdy die gesamtgesellschaftlich zu verantwortende Aufgabe der
Künstler zur Bewahrung „der Menschheit Würde“. Komponiert zur Eröff-
nung des ersten deutsch-flämischen Sängerfestes 1846 in Köln thematisiert
sie den hohen Anspruch der Männergesangvereine auf soziale Führungs-
position. Mendelssohn war mit diesem und anderen Stücken wie „Wer hat
dich, du schöner Wald“ (Der Jäger Abschied op. 50, Nr. 2) zu einem Lieb-
lingskomponisten der Männergesangvereine avanciert (dem auch später
noch kein Antisemitismus etwas anhaben konnte), dem er sich mit vielen
freundlichen Gesten erkenntlich zeigte. Ihn deshalb als Person der fort-
schrittlichen Auffassung der Männerchöre zuzuordnen, wie es häufig ge-
schieht, ist allerdings ein Kurzschluss, der sich aus der romantischen Mu-
15 Ibid., 3.
16 E., „Chemniker Sängerbund“, Die neue Sängerhalle. Deutsche Gesangvereinszeitung
für das In- und Ausland III, Nr. 34 (20. August 1864): 268.
17 W. Karel, „Füllhorn. Aus Oberschlesien“, Deutsche Männer-Gesangs-Zeitung II, Nr.
6 (1861): 35. Zu Mendelssohns Festgesang an die Künstler op. 68 siehe auch Klenke,
Der singende „deutsche Mann“, 7.
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