Page 206 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2024. Glasbena kritika – nekoč in danes ▪︎ Music Criticism – Yesterday and Today. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 7
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glasbena kritika – nekoč in danes | music criticism – yesterday and today
Rezensionen und Rezensionen der frühen 1990er-Jahre herrscht eine ganz
andere inhaltlich-emotionale Dominanz vor:
Das erste internationale Festival „Music Dialogues“ in Kiew ... Die Pro-
gramme der Abende wurden nach dem Prinzip des Dialogs aufgebaut.
Im ersten Abschnitt wurde ukrainische Kammermusik aufgeführt,
im zweiten Abschnitt ausländische Musik. Es fanden sieben Abende
statt, die unsere Vorstellung von moderner Kammermusik bereicher-
ten und bewiesen, dass die ukrainische Musik auch das Niveau euro-
päischer Samples erreicht. Dieses Prinzip, die Werke zweier Völker in
einem Konzert zu vereinen, gab [...] Anlass, über die Kompositionstech-
nik nachzudenken, über die Bereitschaft unserer Zuhörer, Avantgarde-
Musik wahrzunehmen, über die Notwendigkeit, bei jedem künstleri-
schen Phänomen Augenmaß zu haben.18
In den ersten Jahren des Bestehens des unabhängigen ukrainischen
Staates kann man den beispiellosen Aufstieg des Musiklebens selbst und
dementsprechend seine Reflexion auf den Seiten der Fach- und allgemei-
nen Presse beobachten. Es erscheinen dutzende von Neuausgaben, die zu-
vor verschwiegene künstlerische Probleme aktiv diskutieren; die Namen
verbotener Komponisten und Interpreten kehren ins Informationsraum
zurück.
Doch ziemlich schnell wird die Freiheit der Themenauswahl aus dem
musikalischen Bereich und der Art und Weise, wie sie in der Presse prä-
sentiert werden, durch Freizügigkeit und Entgrenzung ersetzt, hinter der
eine korrekte und professionelle Einschätzung musikalischer (und ande-
rer kultureller) Ereignisse verschwindet. Nach und nach verschwinden die
qualitativen Zeitungen und Zeitschriften, in denen die Kunst umfassend
und ausgewogen behandelt wurde. Stattdessen nimmt Kommerzialisie-
rung und Boulevardklatsch. Einige qualitative Medien, – darunter die Zeit-
schrift „Krytyka“ oder die Zeitung „Dzerkalo Tyzhnia“ – blieben eher die
Ausnahme, die nur die Regel bestätigte.
Mit dem Aufkommen des Zeitalters des Internets und zahlreicher so-
zialer Netzwerke – vom sgn. Crossmedialität war heute schon die Rede -
ändert sich die Situation im Allgemeinen nicht, sondern erwirbt nun die
neuen Formen. Musikkritik und -Journalismus bewegen sich weiter wie ein
Schiff ohne Ruder und Segel, in eine nicht näher definierte Richtung, wo
ein paar „Hanslicks“ verwaist in einer Ecke stehen, aber die „Beckmessers“
mit voller Stimme ihren Sieg rufen.
18 Eduard Yavorskyy, „Діалоги дружби [Friedensdialogen]“, Muzyka, Nr. 5 (1993): 3.
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Rezensionen und Rezensionen der frühen 1990er-Jahre herrscht eine ganz
andere inhaltlich-emotionale Dominanz vor:
Das erste internationale Festival „Music Dialogues“ in Kiew ... Die Pro-
gramme der Abende wurden nach dem Prinzip des Dialogs aufgebaut.
Im ersten Abschnitt wurde ukrainische Kammermusik aufgeführt,
im zweiten Abschnitt ausländische Musik. Es fanden sieben Abende
statt, die unsere Vorstellung von moderner Kammermusik bereicher-
ten und bewiesen, dass die ukrainische Musik auch das Niveau euro-
päischer Samples erreicht. Dieses Prinzip, die Werke zweier Völker in
einem Konzert zu vereinen, gab [...] Anlass, über die Kompositionstech-
nik nachzudenken, über die Bereitschaft unserer Zuhörer, Avantgarde-
Musik wahrzunehmen, über die Notwendigkeit, bei jedem künstleri-
schen Phänomen Augenmaß zu haben.18
In den ersten Jahren des Bestehens des unabhängigen ukrainischen
Staates kann man den beispiellosen Aufstieg des Musiklebens selbst und
dementsprechend seine Reflexion auf den Seiten der Fach- und allgemei-
nen Presse beobachten. Es erscheinen dutzende von Neuausgaben, die zu-
vor verschwiegene künstlerische Probleme aktiv diskutieren; die Namen
verbotener Komponisten und Interpreten kehren ins Informationsraum
zurück.
Doch ziemlich schnell wird die Freiheit der Themenauswahl aus dem
musikalischen Bereich und der Art und Weise, wie sie in der Presse prä-
sentiert werden, durch Freizügigkeit und Entgrenzung ersetzt, hinter der
eine korrekte und professionelle Einschätzung musikalischer (und ande-
rer kultureller) Ereignisse verschwindet. Nach und nach verschwinden die
qualitativen Zeitungen und Zeitschriften, in denen die Kunst umfassend
und ausgewogen behandelt wurde. Stattdessen nimmt Kommerzialisie-
rung und Boulevardklatsch. Einige qualitative Medien, – darunter die Zeit-
schrift „Krytyka“ oder die Zeitung „Dzerkalo Tyzhnia“ – blieben eher die
Ausnahme, die nur die Regel bestätigte.
Mit dem Aufkommen des Zeitalters des Internets und zahlreicher so-
zialer Netzwerke – vom sgn. Crossmedialität war heute schon die Rede -
ändert sich die Situation im Allgemeinen nicht, sondern erwirbt nun die
neuen Formen. Musikkritik und -Journalismus bewegen sich weiter wie ein
Schiff ohne Ruder und Segel, in eine nicht näher definierte Richtung, wo
ein paar „Hanslicks“ verwaist in einer Ecke stehen, aber die „Beckmessers“
mit voller Stimme ihren Sieg rufen.
18 Eduard Yavorskyy, „Діалоги дружби [Friedensdialogen]“, Muzyka, Nr. 5 (1993): 3.
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