Page 203 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2024. Glasbena kritika – nekoč in danes ▪︎ Music Criticism – Yesterday and Today. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 7
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musikjournalismus vs. musikkritik heute: überleben oder fortstreben?

ders als treffliches PR-Kniff betrachten. Zudem ist wichtig zu bemerken,
daß Rellstab nur musikalische Grundausbildung bekam und sich selber vor
allem als Schriftsteller geglaubt hat.

Heutige „Rellstäbe“ beherrschen oft vor allem journalistisches Hand-
werk, sind aber oft nach persönlicher Neigung oder Ausbildung der Musik
nicht fremd. Gerade die bezeichnet Döpfner als „musikkundigen Journa-
listen“ Sie üben meistens sog. „Kulturjournalismus“, also sind auch in an-
deren Themen kompetent (kulturjournalistische Generalisten nach Heß),
spezialisieren sich aber vor allem in dem Schwerpunkt Musik und sam-
meln dementsprechende Erfahrungen und Kontakte. Kommunikatorentyp
„Rellstab“ kann nicht nur eine Rezension verfassen, sondern auch einfühl-
same Reportage oder sogar meisterhafte Investigation zu musikverbunde-
nen Themen, die aber in der ersten Linie von sozialer oder wirtschaftlicher
Relevanz sind.

Der dritte Typ, der auch leider ziemlich oft in Massenmedien zu be-
obachten ist, beschloss ich als „Beckmesser“ zu bezeichnen. Es etablier-
te sich eigentlich schon seit langem in der deutschen Tradition, kleinli-
che und allzu pedantische Kritiker nach dem Meistersinger und Schreiber
Sixtus Beckmesser in Richard Wagners Oper Die Meistersinger von Nürn-
berg zu nennen. Sogar der Begriff der Beckmesserei gilt bis heute in deut-
sche Sprache als Metapher für beflissene und engstirnige Regelgläubigkeit.
Im Kontext der vorgeschlagenen Typologie wird „Beckmesser“ ferner die
Journalisten bezeichnen, die fast ausschließlich ihre redaktionellen Pflich-
ten üben, oft ohne gewisse Neigung und weiteren Kenntnissen.

Es ist anzunehmen, dass heutigen Beckmessern bestimmte z.B. Heß
als „journalistischen Generalisten“ meistens in Lokalzeitungen, was aber
in der Tat nicht immer zurecht ist: auch die lokalen Tageszeitungen kön-
nen, ja nach Glückstreff, der hochkompetenten Rezensenten besitzen, und
die großen überregionalen Medien haben nichtsdestoweniger „Beckmesse-
reien“, die oft zu der ganzen Reihe peinlichen Fehler und fachlich unkundi-
gen Aussagen fügte. In besserem Fall rufen diese Kommunikatoren die von
anderen verfassten Quellen ab, schlimmstenfalls behaupten sie, eigene Ur-
teile verfassen zu können, die aber nicht fehlerfrei sind.

Über gewisse historische Abstände und Umstände hinaus kann die-
se Typologie relativ umfassend erscheinen. Es stehen aber ein paar Heraus-
forderungen bevor, die eine weiter Kalibrierung und Revidierung fordern.

Die erste, zu der wir heute sicher schon alleine durch den Zeitman-
gel nicht mehr kommen, ist die heutige Forderung nach Crossmedialität,

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