Page 204 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2024. Glasbena kritika – nekoč in danes ▪︎ Music Criticism – Yesterday and Today. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 7
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glasbena kritika – nekoč in danes | music criticism – yesterday and today
die die obenerwähnten Typen eigentlich vernichtet bzw. in den ganz neu-
en Umständen versetzt.
Die andere wollen wir heute noch unbedingt thematisieren, und das
sind die politischen Wandlungen: wie funktioniert der Musikjournalis-
mus unter totalitären Mächten? Inwieweit ist Objektivität, der Musikkritik
höchste Gebot, mit der Propaganda kompatibel? Wohin gehören die Mu-
sikjournalisten in den schwierigen Zeiten historischer Kataklysmen?
Die oben identifizierten symbolischen Typen von Musikjournalis-
ten betonen in erster Linie die individuellen und professionellen Merkma-
le dieser Art von Tätigkeit. Nichtsdestoweniger wichtig ist aber auch auf
einen anderen Aspekt des Problems konzentrieren: die gesellschaftspoli-
tischen Funktionen des Musikjournalismus. So wichtig die persönlichen
Psychogramme der Autoren der unterschiedlichen Texte über Musik auch
waren, über ihr Schicksal auf den Seiten der gedruckten Ausgabe entschied
letztlich die Redaktionspolitik. Zunächst achtete sie auf die Übereinstim-
mung ihres Inhalts und ihrer Ausdrucksweise mit den Anforderungen der
Gesellschaft: sei es mit der „Generallinie der Partei“ in einer totalitären
Gesellschaft oder mit den musikalischen Interessen der freidenken Leser-
schaft der westlichen Welt. Nachdem ich vierzig Jahre lang die Gelegenheit
hatte, regelmäßig mit verschiedenen ukrainischen Medien freiberuflich zu-
sammenzuarbeiten, kann ich drei wesentliche historische Stationen im Ver-
hältnis „Gesellschaft – Musikjournalismus“ zusammenfassen, die sich in
dieser Zeit großen historischen Wandlungen veränderten und sowohl die
Thematik als auch den Stil der Texte über Musik unmittelbar beeinflussten.
Die erste historische Stufe war von totalitärer Propaganda der spät-
kommunistischen Periode beeinflusst, mit entsprechender Interpretation
der Aufgaben von Musikkritik und Publizistik. Wie jede andere Form der
Reaktion auf künstlerische Ereignisse nahm sie alle Zeichen eines ideolo-
gisch motivierten Massakers an „Dissidenten“ an und zerstörte systema-
tisch „bürgerliche Relikte der Vergangenheit“, „Kirchentum“, „Nationalis-
mus“, „Verbeugung vor dem Westen“, „totgeborene Avantgarde“ und andere
musikalische Phänomene, die für ein „gesundes proletarisches Bewusst-
sein“ ebenso ungeeignet waren. Sicherlich dachten nicht alle Kritiker, wie
sie schrieben; andere hatten oft keine sehr genaue Vorstellung davon, worü-
ber sie schrieben, und wandten einfach ideologische Standardklischees auf
das an, was ihnen auf die Anweisungen von „oben“ zu zerstören befohlen
wurde. Für solche Autoren würde ich einen weiteren Typ in obiger Klassifi-
kation vorschlagen, den man auch metaphorisch als „Münchhausen“ nen-
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die die obenerwähnten Typen eigentlich vernichtet bzw. in den ganz neu-
en Umständen versetzt.
Die andere wollen wir heute noch unbedingt thematisieren, und das
sind die politischen Wandlungen: wie funktioniert der Musikjournalis-
mus unter totalitären Mächten? Inwieweit ist Objektivität, der Musikkritik
höchste Gebot, mit der Propaganda kompatibel? Wohin gehören die Mu-
sikjournalisten in den schwierigen Zeiten historischer Kataklysmen?
Die oben identifizierten symbolischen Typen von Musikjournalis-
ten betonen in erster Linie die individuellen und professionellen Merkma-
le dieser Art von Tätigkeit. Nichtsdestoweniger wichtig ist aber auch auf
einen anderen Aspekt des Problems konzentrieren: die gesellschaftspoli-
tischen Funktionen des Musikjournalismus. So wichtig die persönlichen
Psychogramme der Autoren der unterschiedlichen Texte über Musik auch
waren, über ihr Schicksal auf den Seiten der gedruckten Ausgabe entschied
letztlich die Redaktionspolitik. Zunächst achtete sie auf die Übereinstim-
mung ihres Inhalts und ihrer Ausdrucksweise mit den Anforderungen der
Gesellschaft: sei es mit der „Generallinie der Partei“ in einer totalitären
Gesellschaft oder mit den musikalischen Interessen der freidenken Leser-
schaft der westlichen Welt. Nachdem ich vierzig Jahre lang die Gelegenheit
hatte, regelmäßig mit verschiedenen ukrainischen Medien freiberuflich zu-
sammenzuarbeiten, kann ich drei wesentliche historische Stationen im Ver-
hältnis „Gesellschaft – Musikjournalismus“ zusammenfassen, die sich in
dieser Zeit großen historischen Wandlungen veränderten und sowohl die
Thematik als auch den Stil der Texte über Musik unmittelbar beeinflussten.
Die erste historische Stufe war von totalitärer Propaganda der spät-
kommunistischen Periode beeinflusst, mit entsprechender Interpretation
der Aufgaben von Musikkritik und Publizistik. Wie jede andere Form der
Reaktion auf künstlerische Ereignisse nahm sie alle Zeichen eines ideolo-
gisch motivierten Massakers an „Dissidenten“ an und zerstörte systema-
tisch „bürgerliche Relikte der Vergangenheit“, „Kirchentum“, „Nationalis-
mus“, „Verbeugung vor dem Westen“, „totgeborene Avantgarde“ und andere
musikalische Phänomene, die für ein „gesundes proletarisches Bewusst-
sein“ ebenso ungeeignet waren. Sicherlich dachten nicht alle Kritiker, wie
sie schrieben; andere hatten oft keine sehr genaue Vorstellung davon, worü-
ber sie schrieben, und wandten einfach ideologische Standardklischees auf
das an, was ihnen auf die Anweisungen von „oben“ zu zerstören befohlen
wurde. Für solche Autoren würde ich einen weiteren Typ in obiger Klassifi-
kation vorschlagen, den man auch metaphorisch als „Münchhausen“ nen-
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