Page 52 - Weiss, Jernej, ur. 2017. Glasbene migracije: stičišče evropske glasbene raznolikosti - Musical Migrations: Crossroads of European Musical Diversity. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 1
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glasbene migracije: stičišče evropske glasbene raznolikosti
Ein zweites Beispiel: „Ich waiß mir ein meidlein hübsch und fein“38 von
1583. Auch dieses Werk hebt im Sinne des älteren Liedtypus mit einer imita
torisch-polyphonen Einleitung an, die vor allem dem Wort „hübsch“ Or-
namente beigibt, ehe mehrmals die Hauptaussage vorgetragen wird: „hüt
du dich, es kann wohl falsch und freundlich sein, hüt du dich, vertrau ihr
nicht, sie nar-nar-nar-nar-narret dich“, und das mehrmals mit intensiver
akkordischer Gestaltung. Angesichts des negativen Inhalts erfährt der ent-
weder schon als f-hypoionisch oder doch noch als „f-hypolydisch mit b
molle“ gesehene Modus dreimal eine Sprengung: Der Sopran, dessen „Re-
gel-Umfang“ von „c1“ bis „c2“ reicht und diesen in beide Richtungen nicht
mehr als um einen Ton erweitern sollte, singt just bei „(hüt) du (dich)“ ein
„es2“, der Tenor bei „(es kann) wohl (falsch)“ ein „es1“, und das im Ver-
band einer deutlichen synkopischen Schärfung (Notenbeispiel 15); die Er-
niedrigung des „e“ zum „es“ ist angesichts der Regel „una nota super la“
notwendig. Schließlich überschreitet der Baß seinen Ambitus (dessen obe-
rer Begrenzungston eigentlich das „g“ ist) bei demselben Text besonders
deutlich: für die Worte „es kann wohl falsch“ bietet er die Phrase „e-f-b-a“
auf. Und die gleich danach erfolgende dreimalige Aufhellung des „h“ zum
„b“ erscheint offensichtlich durch den Text „[...] und freundlich sein“ be-
gründet, wird aber dann bald wieder widerrufen. Und nun erklingt die
Warnung „sie narret dich“ mehrmals mit „madrigalesker“ vierfacher laut-
malerischer Silbenwiederholung, die in Alt und Tenor schließlich sogar
sechsmal stattfindet, wodurch das „nar“ (das auch als „Narr“ gehört wird)
siebenmal erklingt und somit vielleicht sogar (wie die Zahl fünf ?) eine zah-
lensymbolische Bedeutung erhalten soll: „hüt du dich, vertrau ihr nicht,
sie nar-nar-nar-nar-nar-nar-narret dich“ (Notenbeispiel 16). – Wir wollen
auch dieses Stück kurz anhören.39
Hier rundet sich die stilistische Palette unseres Komponisten, der in
den Jahren seiner Meisterschaft letzten Endes in allen Gattungen über alle
Stile frei verfügt, wenngleich die grundsätzlichen Vorlieben doch weitge-
hend bestehen bleiben. Lassos Biographie, die nicht nur durch frühe „Wan-
derungen“, sondern auch durch zahlreiche Reisen in seinen späteren Jahren
38 Lasso, Sämtliche Werke. 20. Band. Kompositionen mit deutschem Text, S. 28f. Aus
Platzgründen entnahmen wir unser Notenbeispiel aus: Alte Madrigale, hrsg. von
Fritz Jöde (Wolfenbüttel: Möseler, [1929], 1999), S. 26–28.
39 Hier wurde „Ich waiß mir ein meidlein hübsch und fein“ vorgespielt: Schallplatte
„Das deutsche Chorlied um 1600“, Freiburger Vokalensemble, Leitung Wolfgang
Schäfer (Seite 2, Nr. 14).
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Ein zweites Beispiel: „Ich waiß mir ein meidlein hübsch und fein“38 von
1583. Auch dieses Werk hebt im Sinne des älteren Liedtypus mit einer imita
torisch-polyphonen Einleitung an, die vor allem dem Wort „hübsch“ Or-
namente beigibt, ehe mehrmals die Hauptaussage vorgetragen wird: „hüt
du dich, es kann wohl falsch und freundlich sein, hüt du dich, vertrau ihr
nicht, sie nar-nar-nar-nar-narret dich“, und das mehrmals mit intensiver
akkordischer Gestaltung. Angesichts des negativen Inhalts erfährt der ent-
weder schon als f-hypoionisch oder doch noch als „f-hypolydisch mit b
molle“ gesehene Modus dreimal eine Sprengung: Der Sopran, dessen „Re-
gel-Umfang“ von „c1“ bis „c2“ reicht und diesen in beide Richtungen nicht
mehr als um einen Ton erweitern sollte, singt just bei „(hüt) du (dich)“ ein
„es2“, der Tenor bei „(es kann) wohl (falsch)“ ein „es1“, und das im Ver-
band einer deutlichen synkopischen Schärfung (Notenbeispiel 15); die Er-
niedrigung des „e“ zum „es“ ist angesichts der Regel „una nota super la“
notwendig. Schließlich überschreitet der Baß seinen Ambitus (dessen obe-
rer Begrenzungston eigentlich das „g“ ist) bei demselben Text besonders
deutlich: für die Worte „es kann wohl falsch“ bietet er die Phrase „e-f-b-a“
auf. Und die gleich danach erfolgende dreimalige Aufhellung des „h“ zum
„b“ erscheint offensichtlich durch den Text „[...] und freundlich sein“ be-
gründet, wird aber dann bald wieder widerrufen. Und nun erklingt die
Warnung „sie narret dich“ mehrmals mit „madrigalesker“ vierfacher laut-
malerischer Silbenwiederholung, die in Alt und Tenor schließlich sogar
sechsmal stattfindet, wodurch das „nar“ (das auch als „Narr“ gehört wird)
siebenmal erklingt und somit vielleicht sogar (wie die Zahl fünf ?) eine zah-
lensymbolische Bedeutung erhalten soll: „hüt du dich, vertrau ihr nicht,
sie nar-nar-nar-nar-nar-nar-narret dich“ (Notenbeispiel 16). – Wir wollen
auch dieses Stück kurz anhören.39
Hier rundet sich die stilistische Palette unseres Komponisten, der in
den Jahren seiner Meisterschaft letzten Endes in allen Gattungen über alle
Stile frei verfügt, wenngleich die grundsätzlichen Vorlieben doch weitge-
hend bestehen bleiben. Lassos Biographie, die nicht nur durch frühe „Wan-
derungen“, sondern auch durch zahlreiche Reisen in seinen späteren Jahren
38 Lasso, Sämtliche Werke. 20. Band. Kompositionen mit deutschem Text, S. 28f. Aus
Platzgründen entnahmen wir unser Notenbeispiel aus: Alte Madrigale, hrsg. von
Fritz Jöde (Wolfenbüttel: Möseler, [1929], 1999), S. 26–28.
39 Hier wurde „Ich waiß mir ein meidlein hübsch und fein“ vorgespielt: Schallplatte
„Das deutsche Chorlied um 1600“, Freiburger Vokalensemble, Leitung Wolfgang
Schäfer (Seite 2, Nr. 14).
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