Page 54 - Weiss, Jernej, ur. 2018. Nova glasba v “novi” Evropi med obema svetovnima vojnama ?? New Music in the “New” Europe Between the Two World Wars. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 2
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nova glasba v »novi« evropi med obema svetovnima vojnama
darin ganz ein treuer Nietzsche-Anhänger – in trotziger Selbstbehauptung
der Welt entsagend ohne eine äußere entsühnende Instanz.
Stärker als sein erfolgreicherer Gegenspieler Strauss hat Hans Pfitzner
seine Künstleroper religiös überhöht, indem er Giovanni Pierluigi da Pale-
strina zur Titelfigur erhob.
Zwanzig Jahre nach dem Guntram entstanden (UA 1917), schildert seine
„Musikalische Legende“ keine aktive Heldengeschichte, sondern das intel-
lektuelle Leben eines Künstlers, das im Schopenhauerschen Sinne schuld-
los über dem realen Leben der Welt schwebe.1 Grundlage dafür bildet ganz
deutlich das Zwei-Welten-Modell der romantischen Musikanschauung.
Dass Pfitzner trotz seiner Verwendung von Leitmotiven, die er Werken Pa-
lestrinas entnommen hat, zu einer ganz anderen, eigenständigen Musik-
sprache gefunden hat als der Wagner verhaftete Komponist des Guntram,
muss hier nicht weiter ausgeführt werden. Beide Opern, G untram und Pa-
lestrina, verkörpern vielmehr gewissermaßen zwei gegensätzliche Spielar-
ten derselben romantischen Künstlerapotheose. (Sie äußert sich vor allem
auch in der männlichen Attraktivität der Titelhelden, selbst bei Pfitzners
Asexualität Schopenhauerscher Provenienz wird das Bild der verstorbenen
Gemahlin Lukrezia als „eine schöne Frau in mittleren Jahren“ beschrieben,
die seine Inspiration war.)
Die antiromantische Bewegung, die sich im frühen 20. Jahrhundert
formierte, suchte eine neue Ästhetik der Tonkunst zu entwerfen. Ferruc-
cio Busonis entsprechende Schrift von 1907 konterte Pfitzner 1917 mit sei-
ner Futuristengefahr, zwei markante Beiträge zu einer breit geführten öf-
fentlichen Kontroverse, zu der auch Felix Draesekes Konfusion in der Musik
von 1906 Anlass gegeben hatte. Umso wichtiger ist es, die Gemeinsam-
keiten herauszuarbeiten, die die Kontrahenden miteinander verbunden
haben. Sie bestehen nicht nur in der Vorstellung von der Weltherrschaft
oder Hegemonie der deutschen Musik,2 sondern auch in der emphatischen
Künstlerapotheose. In seiner Oper Doktor Faust (1925) zeichnet Busoni
den Titelhelden nicht als Wissenschaftler, sondern als Künstler. Den Fort-
1 Hans Pfitzner, „Mein Bekenntnis zu Schopenhauer“, in: Ders., Reden, Schriften, Brie-
fe, hrsg. von Walter Abendroth (Berlin: Luchterhand, 1955), S. 47; Bernhard Adamy,
„Schopenhauer in Pfitzners „Palestrina““, in Schopenhauer-Jahrbuch 63 (1982): 67–
79.
2 Helmut Loos, „Probleme der Musikgeschichtsschreibung zwischen Ost- und West-
europa“, in Die Musik der Deutschen und ihrer Nachbarn im Osten. Ostseeraum -
Schlesien - Böhmen/Mähren - Donauraum. [Tagung] vom 23. bis 26. September
1992 in Köln, hrsg. von Klaus Wolfgang Niemöller und dems. (Bonn: Gudrun Schrö-
der, 1994), S. 1–17.
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darin ganz ein treuer Nietzsche-Anhänger – in trotziger Selbstbehauptung
der Welt entsagend ohne eine äußere entsühnende Instanz.
Stärker als sein erfolgreicherer Gegenspieler Strauss hat Hans Pfitzner
seine Künstleroper religiös überhöht, indem er Giovanni Pierluigi da Pale-
strina zur Titelfigur erhob.
Zwanzig Jahre nach dem Guntram entstanden (UA 1917), schildert seine
„Musikalische Legende“ keine aktive Heldengeschichte, sondern das intel-
lektuelle Leben eines Künstlers, das im Schopenhauerschen Sinne schuld-
los über dem realen Leben der Welt schwebe.1 Grundlage dafür bildet ganz
deutlich das Zwei-Welten-Modell der romantischen Musikanschauung.
Dass Pfitzner trotz seiner Verwendung von Leitmotiven, die er Werken Pa-
lestrinas entnommen hat, zu einer ganz anderen, eigenständigen Musik-
sprache gefunden hat als der Wagner verhaftete Komponist des Guntram,
muss hier nicht weiter ausgeführt werden. Beide Opern, G untram und Pa-
lestrina, verkörpern vielmehr gewissermaßen zwei gegensätzliche Spielar-
ten derselben romantischen Künstlerapotheose. (Sie äußert sich vor allem
auch in der männlichen Attraktivität der Titelhelden, selbst bei Pfitzners
Asexualität Schopenhauerscher Provenienz wird das Bild der verstorbenen
Gemahlin Lukrezia als „eine schöne Frau in mittleren Jahren“ beschrieben,
die seine Inspiration war.)
Die antiromantische Bewegung, die sich im frühen 20. Jahrhundert
formierte, suchte eine neue Ästhetik der Tonkunst zu entwerfen. Ferruc-
cio Busonis entsprechende Schrift von 1907 konterte Pfitzner 1917 mit sei-
ner Futuristengefahr, zwei markante Beiträge zu einer breit geführten öf-
fentlichen Kontroverse, zu der auch Felix Draesekes Konfusion in der Musik
von 1906 Anlass gegeben hatte. Umso wichtiger ist es, die Gemeinsam-
keiten herauszuarbeiten, die die Kontrahenden miteinander verbunden
haben. Sie bestehen nicht nur in der Vorstellung von der Weltherrschaft
oder Hegemonie der deutschen Musik,2 sondern auch in der emphatischen
Künstlerapotheose. In seiner Oper Doktor Faust (1925) zeichnet Busoni
den Titelhelden nicht als Wissenschaftler, sondern als Künstler. Den Fort-
1 Hans Pfitzner, „Mein Bekenntnis zu Schopenhauer“, in: Ders., Reden, Schriften, Brie-
fe, hrsg. von Walter Abendroth (Berlin: Luchterhand, 1955), S. 47; Bernhard Adamy,
„Schopenhauer in Pfitzners „Palestrina““, in Schopenhauer-Jahrbuch 63 (1982): 67–
79.
2 Helmut Loos, „Probleme der Musikgeschichtsschreibung zwischen Ost- und West-
europa“, in Die Musik der Deutschen und ihrer Nachbarn im Osten. Ostseeraum -
Schlesien - Böhmen/Mähren - Donauraum. [Tagung] vom 23. bis 26. September
1992 in Köln, hrsg. von Klaus Wolfgang Niemöller und dems. (Bonn: Gudrun Schrö-
der, 1994), S. 1–17.
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