Page 55 - Weiss, Jernej, ur. 2018. Nova glasba v “novi” Evropi med obema svetovnima vojnama ?? New Music in the “New” Europe Between the Two World Wars. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 2
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heilige nüchternheit. der komponist in der moderne ...
schrittsoptimismus jedoch, die Umwertung aller Werte, die Goethe in sei-
nem Drama gegenüber dem Spießschen Faustbuch von 1587 vorgenommen
hat, macht Busoni großenteils rückgängig: „Des Menschen Lied am Gött-
lichen verschallt: / also belehrt erkannt‘ ich meine Ziele / und wandte mich
zurück – zum Puppenspiele.“ Die Faszination der Figur Faust bleibt jedoch
bestehen, seine überragende Attraktivität als Mann, mit der er die Herzo-
gin in ihrer Hochzeitsnacht verführt, durch „Wohlgestalt und Geist und
Mannheit […] behext in aller Form.“ Selbst sein Untergang wird heroisiert.
Dabei findet sich ein Mystizismus in der Musiksprache Busonis, der dem
Pfitzners längst nicht so fern ist, wie die Verlautbarungen der Kontrahen-
ten erwarten ließen.
Die Apotheose der Musik gehört von Anbeginn zur Geschichte der
Oper. Ihre besondere Aktualität offenbart Carl Orff 1924 mit seiner Neu-
fassung von Claudio Monteverdis „Favola in Musica“ L’Orfeo (2. Fassung
1940). Der Stoff besitzt eine durchgehende Tradition von Monteverdi über
Christoph Willibald Gluck, Joseph Haydn, Jacques Offenbach bis Dari-
us Milhaud (1926 Les Malheurs d’Orphée, eine drastische Persiflage) und
Ernst Krenek3 (1926 nach einem Drama von Oskar Kokoschka 19184).5 Die
Wirkungsmacht der Musik bildet im antiken Mythos die zentrale Aussa-
ge, ihrem mythischen Ideal spürt Franz Schreker in Der ferne Klang (1912)
nach, ihre Zauberkräfte demonstriert noch Werner Egk in der Volksoper
Die Zaubergeige (1935). In der Neuzeit verlagert sich die Gewichtung, nicht
die Kunst, sondern die Künstlerpersönlichkeit rückt ins Zentrum des Inte-
resses. Den sich genialisch durchsetzenden bildenden Künstler hat bereits
Hector Berlioz in seiner Oper Benvenuto Cellini (1838) thematisiert, Paul
Hindemith mystifiziert die Bindung zwischen dem Künstler und seinem
Werk in der Oper Cardillac (nach E. T. A. Hoffmann, erste Fassung 1924/25,
Neufassung 1952/61). Die Künstlerapotheose in bester Wagnerscher Manier
nach dem Hans Sachs aus den Meistersingern greift Hindemith in Mathis
der Maler (1938) auf. Mathis, der alternde Künstler,6 verzichtet nicht nur
einsichtig leidend auf die bedingungslose Liebe der jungen Verehrerin Ur-
3 Hans Knoch, Orpheus und Eurydike: Der antike Sagenstoff in den Opern von Darius
Milhaud und Ernst Krenek (Regensburg: Bosse, 1977).
4 Ernst Krenek, Oskar Kokoschka und die Geschichte von Orpheus und Eurydike, hrsg.
von Jürg Stenzl (= Ernst-Krenek-Studien, Bd. 1) (Schliengen: Ed. Argus, 2005).
5 Oswald Panagl, „Art. „Künstleroper“, in Österreichisches Musiklexikon online, Zu-
griff 27. Februar 2017, http://www.musiklexikon.ac.at/ml/musik_K/Kuenstleroper.
xml.
6 Gleich Hans Sachs auch Pfitzners Palestrina, siehe: Michael and Linda Hut-
cheon, „Portrait of the Artist as an Older Man. Hans Pfitzner‘s Palestrina and Paul
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schrittsoptimismus jedoch, die Umwertung aller Werte, die Goethe in sei-
nem Drama gegenüber dem Spießschen Faustbuch von 1587 vorgenommen
hat, macht Busoni großenteils rückgängig: „Des Menschen Lied am Gött-
lichen verschallt: / also belehrt erkannt‘ ich meine Ziele / und wandte mich
zurück – zum Puppenspiele.“ Die Faszination der Figur Faust bleibt jedoch
bestehen, seine überragende Attraktivität als Mann, mit der er die Herzo-
gin in ihrer Hochzeitsnacht verführt, durch „Wohlgestalt und Geist und
Mannheit […] behext in aller Form.“ Selbst sein Untergang wird heroisiert.
Dabei findet sich ein Mystizismus in der Musiksprache Busonis, der dem
Pfitzners längst nicht so fern ist, wie die Verlautbarungen der Kontrahen-
ten erwarten ließen.
Die Apotheose der Musik gehört von Anbeginn zur Geschichte der
Oper. Ihre besondere Aktualität offenbart Carl Orff 1924 mit seiner Neu-
fassung von Claudio Monteverdis „Favola in Musica“ L’Orfeo (2. Fassung
1940). Der Stoff besitzt eine durchgehende Tradition von Monteverdi über
Christoph Willibald Gluck, Joseph Haydn, Jacques Offenbach bis Dari-
us Milhaud (1926 Les Malheurs d’Orphée, eine drastische Persiflage) und
Ernst Krenek3 (1926 nach einem Drama von Oskar Kokoschka 19184).5 Die
Wirkungsmacht der Musik bildet im antiken Mythos die zentrale Aussa-
ge, ihrem mythischen Ideal spürt Franz Schreker in Der ferne Klang (1912)
nach, ihre Zauberkräfte demonstriert noch Werner Egk in der Volksoper
Die Zaubergeige (1935). In der Neuzeit verlagert sich die Gewichtung, nicht
die Kunst, sondern die Künstlerpersönlichkeit rückt ins Zentrum des Inte-
resses. Den sich genialisch durchsetzenden bildenden Künstler hat bereits
Hector Berlioz in seiner Oper Benvenuto Cellini (1838) thematisiert, Paul
Hindemith mystifiziert die Bindung zwischen dem Künstler und seinem
Werk in der Oper Cardillac (nach E. T. A. Hoffmann, erste Fassung 1924/25,
Neufassung 1952/61). Die Künstlerapotheose in bester Wagnerscher Manier
nach dem Hans Sachs aus den Meistersingern greift Hindemith in Mathis
der Maler (1938) auf. Mathis, der alternde Künstler,6 verzichtet nicht nur
einsichtig leidend auf die bedingungslose Liebe der jungen Verehrerin Ur-
3 Hans Knoch, Orpheus und Eurydike: Der antike Sagenstoff in den Opern von Darius
Milhaud und Ernst Krenek (Regensburg: Bosse, 1977).
4 Ernst Krenek, Oskar Kokoschka und die Geschichte von Orpheus und Eurydike, hrsg.
von Jürg Stenzl (= Ernst-Krenek-Studien, Bd. 1) (Schliengen: Ed. Argus, 2005).
5 Oswald Panagl, „Art. „Künstleroper“, in Österreichisches Musiklexikon online, Zu-
griff 27. Februar 2017, http://www.musiklexikon.ac.at/ml/musik_K/Kuenstleroper.
xml.
6 Gleich Hans Sachs auch Pfitzners Palestrina, siehe: Michael and Linda Hut-
cheon, „Portrait of the Artist as an Older Man. Hans Pfitzner‘s Palestrina and Paul
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