Page 56 - Weiss, Jernej, ur. 2018. Nova glasba v “novi” Evropi med obema svetovnima vojnama ?? New Music in the “New” Europe Between the Two World Wars. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 2
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nova glasba v »novi« evropi med obema svetovnima vojnama

sula, er enthält sich auch aller einseitiger Parteinahme, um sowohl den ver-
folgten aufständischen Bauern, als auch der bedrängten Fürstin mit groß-
artiger Menschlichkeit beizustehen.

Mit der Zwischenkriegszeit ist eine Periode angesprochen, die in den
Künsten meist als „Neue Sachlichkeit“ charakterisiert und als radika-
ler Bruch angesehen wird. Die Musikgeschichte spielt diesbezüglich eine
Sonderrolle, in ihr wird meist ganz materialbezogen der epochemachen-
de Neubeginn mit der „Neuen Musik“ auf 1909 und dem Bruch mit der
Tonalität gleichsetzt. In beiden Fällen werden die Kontinuitäten unterbe-
wertet, die hier wirksam und den Zeitgenossen offenbar sehr bewusst wa-
ren. Die antiromantische Bewegung hat ihre Einstellung zu Musik und
schöpferischem Musiker vielfach umschrieben, es sei der Einstieg mit ih-
ren Bühnenwerken genommen. Im Werk Kurt Weills spielt die Thema-
tik keine große Rolle, nur die Erstlingsoper Der Protagonist (1926) handelt
im Künstler-, sprich Schauspielermilieu, ihm liegt ein expressionistisches
Theaterstück von Georg Kaiser zugrunde. Als für die Richtung aufschluss-
reich erweist sich der große Erfolg der berühmten Zeitoper Jonny spielt auf
(1927) von Ernst Krenek, sie spielt im Musikermilieu. Der ernste Kompo-
nist Max wird von der Sängerin Anita aus seiner einsamen Gletscherwelt
geholt, eine deutliche Anspielung auf die weltverachtende Abgeschieden-
heit des Genies nach Nietzsches Vorstellungen. Max erweist sich als welt-
fremd, ziemlich lebensuntüchtig und leicht manipulierbar. Er muss sich so-
wohl gegen den amerikanischen „Negermusiker“ Jonny als auch gegen den
„Balkanvirtuosen“7 Daniello behaupten, dessen berühmte Geige von Jonny
gestohlen und letztendlich besessen wird: Im Schlussbild spielt er die Gei-
ge auf der Bahnhofuhr stehend, die sich in eine Weltkugel verwandelt und
damit die christliche Ikonographie von Maria auf der Weltkugel ins Dämo-
nische umwendet. Diese Provokation des triumphierenden Jazzmusikers
verfehlte ihre Wirkung nicht, nicht nur Julius Korngold richtete wütende
Angriffe auf Komponist und Werk und wies den Anspruch auf „musika-
lische[n] Zeitausdruck“ vehement zurück. Die „Tonkunst“ sei doch gera-
de „die Zeitlose und von der Zeit souverän Unabhängige, gerade in ihren
bedeutendsten Schöpfungen [habe sie] nie den Beruf […], den Zeitinhalt
oder, nennen wir das Kind beim rechten Namen, die Zeitmode wiederzu-

Hindemith‘s Mathis der Maler“, in Masculinity in opera. Gender, history and new
musicology, hrsg. von Philip Purvis (New York u. a.: Routledge, 2013), S. 216–235.
7 Julius Korngold, „Feuilleton. Operntheater. Jonny spielt auf von Ernst Krenek“, In
Neue Freie Presse, Morgenblatt, 1. Jänner 1928, S. 1–5, hier S. 2.

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