Page 57 - Weiss, Jernej, ur. 2018. Nova glasba v “novi” Evropi med obema svetovnima vojnama ?? New Music in the “New” Europe Between the Two World Wars. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 2
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heilige nüchternheit. der komponist in der moderne ...

geben“.8 Den Komponisten Max sieht Korngold als „armseligen Schwätzer
und Schwächling“. Am Ende entflieht er mit seiner Geliebten Anita nach
Amerika. Trotz der schwachen Figur, die der Komponist abgibt, bleibt er
mit seiner idealen Gletscherwelt am Ende der moralische Sieger, wo Unmo-
ral triumphiert, und damit das emphatische Komponistenbild intakt. Dies
betrifft auch die ganz ähnliche Geschichte von Richard Strauss‘ I­ntermezzo
(1924), einer „bürgerlichen Komödie“ mit Verstrickungen in der Ehe des
Hofkapellmeisters Storch und seiner Frau Christine, die allerdings anders
als bei Krenek völlig souverän gelöst werden. Wie stark den Komponis-
ten die selbstreflexive Darstellung ihrer Profession durch repräsentative
Bühnenwerke am Herzen Lag, darauf verweist der Umstand, dass die ge-
nannten Komponisten Strauss (Guntram und Intermezzo), Pfitzner, Buso-
ni, Hindemith und Krenek bei aller Verschiedenheit des musikalischen Zu-
griffs die Libretti ihrer Künstleropern selbst verfasst haben.

So wenig selbst bei Vertretern der antiromantischen Attitüde der Kom-
ponist als menschliche und moralische Autorität in Frage gestellt wird, so
entschieden wird diese Vorstellung durch alle musikalischen Genres hin-
durch hochgehalten. Eine Ironisierung musikalischer Allmachtsphantasi-
en findet sich eher früher, in der Mitte des 19. Jahrhunderts in der Operette
Die Zaubergeige (1855) von Jacques Offenbach, in der gerade die Zerstörung
des Instruments die Erlösung bringt. Denn in den Trümmern der Geige
findet sich das Testament, das die junge Frau Rose wirtschaftlich dazu in
die Lage versetzt, ihren geliebten Peter vom Militär freizukaufen und zu
heiraten. Siebzig Jahre später finden wir in der Operette Paganini (1925)
von Franz Lehár den Geigenvirtuosen ganz im positiven Sinne des Mythos
als unwiderstehlichen Frauenschwarm („Gern hab ich die Fraun geküsst“,
„Niemand liebt dich so wie ich“),9 der sich am Ende heroisch vom leichten
Leben verabschiedet und der Tonkunst verschreibt. Wie stark sich gerade
in den 1920er Jahren entsprechende Bühnenwerke häufen, mag eine skiz-
zenhafte Übersicht verdeutlichen:

8 Ebd., S. 3.
9 „Gern hab’ ich die Frau’n geküsst, / hab’ nie gefragt, ob es gestattet ist; / dach-

te mir: nimm sie dir, / küss sie nur, dazu sind sie ja hier!“ Was Paganini hier be-
singt, wird heute als übergriffig bezeichnet und unterliegt dem Strafbestand der se-
xuellen Belästigung. Wie präsent aber das Vorbild immer noch ist, lässt sich leicht
bei Youtube nachvollziehen. Einige Filme von Interpretationen zeigen nicht nur
den Sänger, sondern auch bildschöne Frauen aus dem Publikum, die das „tollen
Mannsbild“ hingerissen anschmachten, beispielsweise: https://www.youtube.com/
watch?v=nFJzNEoBG8A, Zugriff 11. März 2017. Den Beginn des Duetts verfremden
Musiker(innen) gerne leicht: „Niemand liebt dich wie so ich“.

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