Page 90 - Weiss, Jernej, ur. 2019. Vloga nacionalnih opernih gledališč v 20. in 21. stoletju - The Role of National Opera Houses in the 20th and 21st Centuries. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 3
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vloga nacionalnih opernih gledališč v 20. in 21. stoletju

ner aber will mit Recht heimische, vor allem deutsche Volks=Musik
höherer Stufe, feinerer Art, in einem ihm gemütlichen Opernsaale!
Diesem Wunsche suchte der vor Jahren gegründete Wiener „Volk-
sopern=Verein“ zu entsprechen. Aber der gute Wille kann heute in
dem in Theatersachen schon viel gewitzigten Wien nur schwer und
langsam zur Tat sich verstärken. Manche Pläne des Vereines, dem
erfahrere [!] treffliche Kräfte angehören, mußten unausgeführt blei-
ben. Die Geldkräfte und Förderer halten sich bei solchen Anlässen
meist allzukühl und zu vorsichtig zurück, zumal wenn es sich um
ein wirklich volkstümliches Unternehmen deutscher Bürgerkreise
ohne goldenen Börsen= und Großgeschäftshintergrund handelt !
Aber der Wiener Volksopernverein scheint eine zähe Lebenskraft
in sich zu haben. Ging es nicht alsbald im größeren Rahmen, so ver-
sucht er es nun schrittweise mit den Anfangsgründen einer Volk-
soper im Stadttheater.“60

Herbst 1908 heißt das Haus dann bisweilen „Wiener Volksoper (Ju-
biläums-Theater)“, ehe sich „Volksoper“ allein durchsetzte. Bald pflegte er,
vor allem mit seinem 1904 endgültig engagierten Hauptdirigenten Alexan-
der Zemlinsky, auch die „große“, angesichts seines Kontraktes selbstver-
ständlich sehr oft national ausgerichtete Oper, bis das Haus nach dem Er-
sten Weltkrieg durch die Inflation in finanzielle Schwierigkeiten geriet und
Juli 1928 geschlossen wurde. Der spätere Hollywood-Regisseur Otto Pre-
minger sorgte dann ab Herbst 1929 für einen erneuten Aufschwung, doch
nach der Okkupation Österreichs durch Nazi-Deutschland und der Entlas-
sung aller unerwünschten (vor allem jüdischen) Mitarbeiter übernahm die
Stadt Wien das Theater und verwendete es u. a. als Spielstätte der national-
sozialistischen Organisation „Kraft durch Freude“. In den letzten Jahren
des Zweiten Weltkrieges, als alle Theater geschlossen wurden, fungierte das
Haus dann als Kino, nach dem Krieg war es zunächst Ersatzquartier für die
zerstörte Wiener Staatsoper, ehe es ab der Saison 1946/47 wieder selbständig
wurde. Allerdings war es etliche Jahre (unter gemeinsamer Führung) auch
eine Art Dependance der Wiener Staatsoper. 1998 endgültig eigenverant-
wortlich, erfuhr die Volksoper in der Folge eine betont „wienerische“ Aus-
richtung, pflegte dadurch auch in besonders prononcierter Weise die Gat-
tung der Operette und besitzt somit erneut eine speziell bodenständige, ja
sogar „nationale“ (jetzt allerdings österreich-bezogene) Ausrichtung.

60 Die Lyra XXVII (1903), Nr. 1 (686), 1. Oktober 1903, S. 6 [4]

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