Page 89 - Weiss, Jernej, ur. 2019. Vloga nacionalnih opernih gledališč v 20. in 21. stoletju - The Role of National Opera Houses in the 20th and 21st Centuries. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 3
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die wiener volksoper als „nationale spielstätte“

müsse jedesmal der Ausschuß um die Zustimmung befragt wer-
den. Stücke von Juden sind unbedingt von einer Aufführung aus-
geschlossen, sonst würde Direktor Simons kontraktbrüchig und zur
Rechenschaft gezogen.

Schließlich meldete sich ein Abgeordneter des Stadtrats zu Wort:

Obwohl wir in politischer Beziehung antisemitisch sehr weit fortge-
schritten sind, geht unsere Gesellschaft einer fortschreitenden Ver-
judung entgegen, insbesondere die Hochschulen und die Kunstwelt.
Es ist das für Wien, die Kunststadt und insbesondere erste Mu-
sikstadt, betrübend. Trotzdem sehen wir infolge einer Clique und
der außerordentlichen Macht der Judenpresse mehr und mehr die
vaterländische Kunst verkümmern und den populärsten Teil, das
Theater, mehr und mehr auf die andre Seite hinübergehen. [...] Wa-
rum ist Wien als Theaterstadt so gesunken? Das hat seinen Grund
teils in der Dekadenz des Mittelstands, zum größten Teil aber in der
Verjudung des Theaters. Die Wiener haben nicht mehr deutschen
Geist, sondern semitisches Machwerk gefunden, schale Witze, ekel-
hafte, nur auf Effekthascherei begründete Machinationen [...].58

Wir verlassen nun die aufgeputschte Szene und lassen nur mehr einige
historische Tatsachen folgen. Rainer Simons führte das Theater, durch das
Erlassen der Pacht von großen Problemen befreit, schließlich erfolgreich
weiter und nannte es bereits im Herbst 1904 „Kaiserjubiläums=Stadtthe-
ater und Volksoper“ bzw. „Jubiläums-Theater (Volksoper)“. „Die Lyra“ be-
richtete daher über die Eröffnung der „Wiener ,Volksoper‘ im Stadtthea-
ter [vom 15. September 1904] mit Webers ,Freischütz‘“, ein „so recht aus der
deutschen Volksseele heraus erblühte[s] Werk“.59 Dementsprechend war es
gerade die „Lyra“, die ein Jahr vorher in einem Artikel „Die Anfangsgründe
einer Wiener Volksoper“ die Entwicklung der Hofoper mit scharfen Wor-
ten kritisiert hatte:

Sie wurde insbesondere nach Jahn immer vornehmer, musiktech-
nisch immer unnahbarer, ,pompöser‘ und für den Wiener Ge-
schmack immer unzulänglicher, bis sie unter Mahler fast nur noch
zur Fremden=Oper, zum Parade=Hause für den Fremdenverkehr
– auf der Bühne und im Zuschauerraum ! – geworden ist. Der Wie-

58 Deutsches Volksblatt Nr. 5323, 31. Oktober 1903, S.9f.
59 Die Lyra XXVIII (1904), Nr. 1 (710), 1. Oktober 1904, S. 8 [4]

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