Page 79 - Weiss, Jernej, ur. 2020. Konservatoriji: profesionalizacija in specializacija glasbenega dela ▪︎ The conservatories: professionalisation and specialisation of musical activity. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 4
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musikausbildung im post-habsburger raum
Obengenannten Tatsachen zeugen davon, daß objektive existentiel-
le und soziale Sachverhalte gar nicht günstig für die Musikinstitutionen
in Lemberg und ganz Galizien gewesen sind. Aber trotzdem entwickelte
sich die Musikausbildung auf allen Niveaus in der Region sehr rasch, zeig-
te beachtenswerte Leistungen und könnten mehrmals manche professio-
nelle Musikkollektive, z. B. Operntruppe oder symphonische Orchester der
Philharmonie, die wegen der Mangel an Finanzen stabil nicht wirken kön-
nen, im regulären Kulturbetrieb ersetzen.
Man muß in Zusammenhang mit diesem Thema (und je mehr – mit
dieser Formulierung des Themas) noch eine Frage beantworten. Inwiefern
unterschied das „Habsburg-Modell“ der Musikausbildung von den ande-
ren künstlerisch hochentwickelten Ländern, etwa von Frankreich, England
und besonders von Deutschland? Das neuste Österreichische Musiklexi-
kon bestätigt solche bedeutende –nicht nur für das Land schlechthin, son-
dern auch für mehrere ehemalige Provinzen des mehrnationalen Habsbur-
ger Imperiums – Merkmale der Musikausbildung im Österreich:
Die Entstehung der bürgerlichen Musikkultur führte zu Beginn des
19. Jahrhunderts zur Gründung von Vereinigungen, welche sich ne-
ben der Aufführung aufwendiger Werke auch die Hebung des mu-
sikalischen Niveaus zum Ziel setzten (Musikverein, Kirchenmusik-
schulen), wobei zunächst die Laienausbildung (Dilettant), nicht die
Ausbildung professioneller Musiker im Vordergrund stand. Aus
diesem Antrieb kam es innerhalb weniger Jahre zur Gründung von
Sing- bzw. Musikschulen (Graz 1816, Wien 1817, Innsbruck 1818,
Linz 1823, Klagenfurt 1828). In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhun-
derts entwickelten sich diese Musikschulen, allen voran das Kon-
servatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, zu profes-
sionellen Ausbildungsinstitutionen, welche auch die künstlerischen
Bedürfnisse des bürgerlichen Musiklebens zu erfüllen begannen.6
Man könnte vermuten, genau dieselben Prozesse im Gebiet der Mu-
sikausbildung fanden in mehreren europäischen Staaten bzw. Imperien
statt. Welche Spezifik bezeichnete gerade das österreichische System? Ich
erlaube mir in diesem Zusammenhang eigene Hypothese vorschlagen.
Erste und etwa wichtigste Besonderheit besteht darin, daß das Öster-
reich mehr als irgendeiner andere Staat des späten 18. - 19. Jahrhunderts
6 Gabriele Eder, „Musikausbildung,“ in: Oesterreichisches Musiklexikon online,
https://www.musiklexikon.ac.at/ml/musik_M/Musikausbildung.xml.
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Obengenannten Tatsachen zeugen davon, daß objektive existentiel-
le und soziale Sachverhalte gar nicht günstig für die Musikinstitutionen
in Lemberg und ganz Galizien gewesen sind. Aber trotzdem entwickelte
sich die Musikausbildung auf allen Niveaus in der Region sehr rasch, zeig-
te beachtenswerte Leistungen und könnten mehrmals manche professio-
nelle Musikkollektive, z. B. Operntruppe oder symphonische Orchester der
Philharmonie, die wegen der Mangel an Finanzen stabil nicht wirken kön-
nen, im regulären Kulturbetrieb ersetzen.
Man muß in Zusammenhang mit diesem Thema (und je mehr – mit
dieser Formulierung des Themas) noch eine Frage beantworten. Inwiefern
unterschied das „Habsburg-Modell“ der Musikausbildung von den ande-
ren künstlerisch hochentwickelten Ländern, etwa von Frankreich, England
und besonders von Deutschland? Das neuste Österreichische Musiklexi-
kon bestätigt solche bedeutende –nicht nur für das Land schlechthin, son-
dern auch für mehrere ehemalige Provinzen des mehrnationalen Habsbur-
ger Imperiums – Merkmale der Musikausbildung im Österreich:
Die Entstehung der bürgerlichen Musikkultur führte zu Beginn des
19. Jahrhunderts zur Gründung von Vereinigungen, welche sich ne-
ben der Aufführung aufwendiger Werke auch die Hebung des mu-
sikalischen Niveaus zum Ziel setzten (Musikverein, Kirchenmusik-
schulen), wobei zunächst die Laienausbildung (Dilettant), nicht die
Ausbildung professioneller Musiker im Vordergrund stand. Aus
diesem Antrieb kam es innerhalb weniger Jahre zur Gründung von
Sing- bzw. Musikschulen (Graz 1816, Wien 1817, Innsbruck 1818,
Linz 1823, Klagenfurt 1828). In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhun-
derts entwickelten sich diese Musikschulen, allen voran das Kon-
servatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, zu profes-
sionellen Ausbildungsinstitutionen, welche auch die künstlerischen
Bedürfnisse des bürgerlichen Musiklebens zu erfüllen begannen.6
Man könnte vermuten, genau dieselben Prozesse im Gebiet der Mu-
sikausbildung fanden in mehreren europäischen Staaten bzw. Imperien
statt. Welche Spezifik bezeichnete gerade das österreichische System? Ich
erlaube mir in diesem Zusammenhang eigene Hypothese vorschlagen.
Erste und etwa wichtigste Besonderheit besteht darin, daß das Öster-
reich mehr als irgendeiner andere Staat des späten 18. - 19. Jahrhunderts
6 Gabriele Eder, „Musikausbildung,“ in: Oesterreichisches Musiklexikon online,
https://www.musiklexikon.ac.at/ml/musik_M/Musikausbildung.xml.
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