Page 78 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2021. Opereta med obema svetovnima vojnama ▪︎ Operetta between the Two World Wars. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 5
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opereta med obema svetovnima vojnama
sönlich sehr zusagenden Buches; ein Buch, das nicht – wie oft bei
der Operette – aus einer Reihe von mehr oder weniger wirkungs
vollen Szenen bestand, sondern ein zusammenhängendes Ganzes
darstellte. [...]
Ich hatte vor vielen Jahren einmal mit Mahler ein lan
ges Gespräch darüber, wann eine dramatische Form an
fange, „Operette“ im bösen Sinne zu werden. Mahler
definierte schließlich so: „Die Operette beginnt beim
Sich=selbst=nicht=er nst=nehmen“
Nun: davon weiß ich mich frei. Denn ich habe die Operette ganz
verteufelt ernst genommen und mich mit Ernst bemüht, so heiter
wie möglich zu sein. Vor allem war meine Sorge auf eins gerichtet:
Ich stellte mir als Grundsatz auf, es solle in dieser Operette keine
Note stehen, die in einer Oper stehen könnte. Ich hielt mir immer
wieder vor Augen und Ohren, daß die Musik einer Operette ihre
eigenen Stilgesetze haben muß. Ich glaube, daß man einer Ope
rette ein sehr schlechtes Kompliment macht, wenn man ihrer Mu
sik nachrühmt, sie neige zur Spieloper hin. Denn nie und nimmer
kann die Steigerung lauten: Operette – Spieloper; sondern die Stei
gerung kann nur lauten: Schlechte Operette – gute Operette. [...]
Und schließlich: doch „Entgleisung“? Es scheint wohl so zu sein;
denn zu oft begegnet es mir in den letzten Monaten, daß, wenn ich
mit einem „ernsten“ – (was ist das, ein ernster Musiker? Ist das ein
Gegensatz zu einem „heiteren“ Musiker? also genauer!) – wenn ich
mit einem „ernst zu nehmenden“ Musiker – (ja, sind denn Sup
pé, Millöcker und Strauß nicht „ernst zu nehmen“ ? Ist einer nicht
mehr ernst zu nehmen, wenn er Operetten schreibt?) – Also kurz,
wenn ich mit Musikern, die keine Operetten schreiben, sprach, be
gegnete es mir, in ihren Antworten einen Unterton von Bedauern,
von Sorge zu hören, sicher aber etwas vom „Schrei nach der Tan
tieme“ zu vernehmen. Operette – das ist so, als wenn man in einer
„guten“ Familie von einem illegitimen Kinde spricht. (Als wenn es
gar keine „illegitimen“ Opern gäbe!)
Ich weiß wohl, woher das kommt; ich weiß gut, welch mangeln
des künstlerisches Gewissen, welch schlimmer Dilettantismus sich
in dem Sammelwort „Operette“ vereinigen kann. Aber das könnte
doch in „ernsten“ Opern auch vorkommen. Ich muß schon zu sehr
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sönlich sehr zusagenden Buches; ein Buch, das nicht – wie oft bei
der Operette – aus einer Reihe von mehr oder weniger wirkungs
vollen Szenen bestand, sondern ein zusammenhängendes Ganzes
darstellte. [...]
Ich hatte vor vielen Jahren einmal mit Mahler ein lan
ges Gespräch darüber, wann eine dramatische Form an
fange, „Operette“ im bösen Sinne zu werden. Mahler
definierte schließlich so: „Die Operette beginnt beim
Sich=selbst=nicht=er nst=nehmen“
Nun: davon weiß ich mich frei. Denn ich habe die Operette ganz
verteufelt ernst genommen und mich mit Ernst bemüht, so heiter
wie möglich zu sein. Vor allem war meine Sorge auf eins gerichtet:
Ich stellte mir als Grundsatz auf, es solle in dieser Operette keine
Note stehen, die in einer Oper stehen könnte. Ich hielt mir immer
wieder vor Augen und Ohren, daß die Musik einer Operette ihre
eigenen Stilgesetze haben muß. Ich glaube, daß man einer Ope
rette ein sehr schlechtes Kompliment macht, wenn man ihrer Mu
sik nachrühmt, sie neige zur Spieloper hin. Denn nie und nimmer
kann die Steigerung lauten: Operette – Spieloper; sondern die Stei
gerung kann nur lauten: Schlechte Operette – gute Operette. [...]
Und schließlich: doch „Entgleisung“? Es scheint wohl so zu sein;
denn zu oft begegnet es mir in den letzten Monaten, daß, wenn ich
mit einem „ernsten“ – (was ist das, ein ernster Musiker? Ist das ein
Gegensatz zu einem „heiteren“ Musiker? also genauer!) – wenn ich
mit einem „ernst zu nehmenden“ Musiker – (ja, sind denn Sup
pé, Millöcker und Strauß nicht „ernst zu nehmen“ ? Ist einer nicht
mehr ernst zu nehmen, wenn er Operetten schreibt?) – Also kurz,
wenn ich mit Musikern, die keine Operetten schreiben, sprach, be
gegnete es mir, in ihren Antworten einen Unterton von Bedauern,
von Sorge zu hören, sicher aber etwas vom „Schrei nach der Tan
tieme“ zu vernehmen. Operette – das ist so, als wenn man in einer
„guten“ Familie von einem illegitimen Kinde spricht. (Als wenn es
gar keine „illegitimen“ Opern gäbe!)
Ich weiß wohl, woher das kommt; ich weiß gut, welch mangeln
des künstlerisches Gewissen, welch schlimmer Dilettantismus sich
in dem Sammelwort „Operette“ vereinigen kann. Aber das könnte
doch in „ernsten“ Opern auch vorkommen. Ich muß schon zu sehr
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