Page 99 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2021. Opereta med obema svetovnima vojnama ▪︎ Operetta between the Two World Wars. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 5
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erich wolfgang korngold – hin- und hergerissen zwischen u- und e-musik
In den Jahren 1923 bis 1933 brachte Erich Wolfgang Korngold in Wien
und Berlin folgende Operetten in eigener Bearbeitung heraus:
1923 in Wien: Eine Nacht in Venedig von Johann Strauß
1927 in Wien: Cagliostro in Wien von Johann Strauß
1929 in Wien: Rosen aus Florida von Leo Fall
1929 in Berlin: Die Fledermaus von Johann Strauß
1930 in Wien: Walzer aus Wien von Johann Strauß
1931 in Berlin: Die schöne Helena von Jacques Offenbach
1931 in Berlin: Das Lied der Liebe, Musik nach Johann Strauß
1933 in Berlin: Die geschiedene Frau von Leo Fall
Julius Korngold beurteilte diese Arbeiten seines Sohnes wie folgt:
So gab Erichs Vorgehen den Anstoß zu einer Art Strauß-Renais
sance, zu einer Wiederbelebung von Operetten, die nicht die Dauer
von Fledermaus oder Zigeunerbaron behauptet hatten. Daß nach
her plumpe Nachtreter in mancher Kostbarkeit wie der der Elefant
im Porzellanladen hausten, war nicht seine Schuld. Er selber hatte
in der Nacht in Venedig, in Cagliostro, dann auch, als Max Rein
hard die Fledermaus nach den Eingebungen seiner Inszenierungs
phantasie zu flattern zwang, sich pietätvoller Respektierung der
Originale beflissen. Künstlerisches Verstehen und Können wahr
te die Diktion, den Stil, die Kompositionstechnik der Originale,
griff nicht in die Nummernfolge, nicht in den Nummernbau ein,
riß nicht Glieder aus, um sie willkürlich zu versetzen oder gar zu
ersetzen.9
Diese Angaben folgen konsequent Idealen der E-Musik mit ihrem qua-
si religiösen Unantastbarkeitsprinzip des Originals, der Werktreue. Realis-
tisch sind sie nicht, sondern erscheinen etwas euphemistisch. Wenn man
nämlich die Originalfassung etwa des Cagliostro in Wien mit Korngolds
Bearbeitung genauer vergleicht, so fallen doch einige erhebliche Umarbei-
tungen auf. Der Komponist selbst erklärte 1933 im Rückblick auf seine Ope-
rettenbearbeitungen, er sei als schaffender Künstler (der E-Musik selbstver-
ständlich) „eigentlich [...] ein Feind aller Bearbeitungen, aller Eingriffe einer
fremden Hand in bestehendes Musikgut.“10 Dann jedoch habe er im Laufe
9 Ibid., 288.
10 Erich Wolfgang Korngold, „Operettenbearbeitungen“, in: Der Zuschauer. Blätter des
„Theaters am Nollendorfplatz“ (Berlin: s. n., 1933), zitiert nach Kevin Clarke, „‚Der
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In den Jahren 1923 bis 1933 brachte Erich Wolfgang Korngold in Wien
und Berlin folgende Operetten in eigener Bearbeitung heraus:
1923 in Wien: Eine Nacht in Venedig von Johann Strauß
1927 in Wien: Cagliostro in Wien von Johann Strauß
1929 in Wien: Rosen aus Florida von Leo Fall
1929 in Berlin: Die Fledermaus von Johann Strauß
1930 in Wien: Walzer aus Wien von Johann Strauß
1931 in Berlin: Die schöne Helena von Jacques Offenbach
1931 in Berlin: Das Lied der Liebe, Musik nach Johann Strauß
1933 in Berlin: Die geschiedene Frau von Leo Fall
Julius Korngold beurteilte diese Arbeiten seines Sohnes wie folgt:
So gab Erichs Vorgehen den Anstoß zu einer Art Strauß-Renais
sance, zu einer Wiederbelebung von Operetten, die nicht die Dauer
von Fledermaus oder Zigeunerbaron behauptet hatten. Daß nach
her plumpe Nachtreter in mancher Kostbarkeit wie der der Elefant
im Porzellanladen hausten, war nicht seine Schuld. Er selber hatte
in der Nacht in Venedig, in Cagliostro, dann auch, als Max Rein
hard die Fledermaus nach den Eingebungen seiner Inszenierungs
phantasie zu flattern zwang, sich pietätvoller Respektierung der
Originale beflissen. Künstlerisches Verstehen und Können wahr
te die Diktion, den Stil, die Kompositionstechnik der Originale,
griff nicht in die Nummernfolge, nicht in den Nummernbau ein,
riß nicht Glieder aus, um sie willkürlich zu versetzen oder gar zu
ersetzen.9
Diese Angaben folgen konsequent Idealen der E-Musik mit ihrem qua-
si religiösen Unantastbarkeitsprinzip des Originals, der Werktreue. Realis-
tisch sind sie nicht, sondern erscheinen etwas euphemistisch. Wenn man
nämlich die Originalfassung etwa des Cagliostro in Wien mit Korngolds
Bearbeitung genauer vergleicht, so fallen doch einige erhebliche Umarbei-
tungen auf. Der Komponist selbst erklärte 1933 im Rückblick auf seine Ope-
rettenbearbeitungen, er sei als schaffender Künstler (der E-Musik selbstver-
ständlich) „eigentlich [...] ein Feind aller Bearbeitungen, aller Eingriffe einer
fremden Hand in bestehendes Musikgut.“10 Dann jedoch habe er im Laufe
9 Ibid., 288.
10 Erich Wolfgang Korngold, „Operettenbearbeitungen“, in: Der Zuschauer. Blätter des
„Theaters am Nollendorfplatz“ (Berlin: s. n., 1933), zitiert nach Kevin Clarke, „‚Der
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