Page 95 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2021. Opereta med obema svetovnima vojnama ▪︎ Operetta between the Two World Wars. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 5
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oi: https://doi.org/10.26493/978-961-293-055-4.93-101

Erich Wolfgang Korngold
– hin- und hergerissen zwischen
U- und E-Musik

Helmut Loos
Univerza v Leipzigu
Universität Leipzig

Als im Jahre 1897 ein unbekannter Autor unter dem Pseudonym Willibald
Freidank eine Schrift mit dem Titel „Kunst und Afterkunst auf dem Gebie-
te der schönen Literatur in unserer Zeit“ und dem Untertitel „Ein deutsches
Wort an das deutsche Volk“1 veröffentlichte, orientierte er sich offenbar an
Richard Wagner, der seine Schmähschrift „Das Judenthum in der Musik“
unter dem Pseudonym K. [Karl] Freigedank veröffentlicht hatte. Das Wort
„Afterkunst“ im Titel kennzeichnet in brutaler Weise die Kehrseite eines
um die Jahrhundertwende im deutschsprachigen Raum grassierenden Kul-
tes, der die Kunst und damit in erster Linie die am höchsten eingeschätz-
te Musik und ihre Schöpfer zu den höchsten Autoritäten in der endlich ver-
einten Kulturnation erhoben hatte. Natürlich betraf dies nur die „hohe“
Kunst, die Bezeichnung „Tonkunst“ wurde bevorzugt, denn alles, was den
höchsten Ansprüchen der mit religiöser Inbrunst gepflegten Bildung nicht
zu entsprechen vermochte, verfiel dem Verdikt des Schunds. Für die Fälle,
dass ein hoher Anspruch erhoben, aber angeblich nicht erfüllt wurde, hat
diese Zeit den folgenreichen Ausdruck „Kitsch“ erfunden. Die Musik oder
besser die Tonkunst wurde als Kunstreligion der Moderne mit dem not-
wendigen religiösen Ernst versehen, den der erfolgreichste Philosoph die-
ser Richtung, Arthur Schopenhauer ihr wesentlich zuschrieb:

1 Willibald Freidank, Kunst und Afterkunst auf dem Gebiete der schönen Literatur in
unserer Zeit. Ein deutsches Wort an das deutsche Volk (Leipzig: Schelper, 1897).

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