Page 100 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2021. Opereta med obema svetovnima vojnama ▪︎ Operetta between the Two World Wars. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 5
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opereta med obema svetovnima vojnama
der Probenarbeit 1923 als Dirigent der Strauß'schen Operette Nacht in Ve
nedig im Bemühen, „die Operette so gut als möglich, im Geist ihres Schöpfers
und mit zeitgemäßer Wirkung aufzuführen“ begonnen, „an der Instrumen
tation zu feilen, den Klang pikanter zu gestalten,“ er habe
schwache Musikstücke entfernt und durch stärkere Strauß-Mu
sik ersetzt, [...] aus einer kleinen Tenorpartie eine richtige Richard
Tauber-Partie geschaffen, Einfluß auf Buch und Szene genommen
– und bei der Premiere war plötzlich eine regelrechte Neufassung
da,
ohne dass es ihm „im Drange der Probenarbeit überhaupt“ gewusst gewor-
den sei, eine solche erstellt zu haben.11 Es muss sich hier nicht um eine be-
wusste Mystifizierung des Schaffensvorgangs handeln, die Korngold zu sei-
ner Entschuldigung vorzubringen sich gedrängt sah, er beschreibt vielmehr
sehr plastisch, wie sich die musikalische Gattungstradition gegen theoreti-
schen Kunstanspruch durchgesetzt hat.
Die Fassung des Cagliostro in Wien von Ludwig Herzer und Korngold
kam am 13. April 1927 im Wiener Bürgertheater zur ersten Aufführung.
Die Personenkonstellation blieb in der neuen Fassung gegenüber der ur-
sprünglichen von Franz Zell und Richard Genée unverändert. Allerdings
änderten sich Namen und Sozialstatus der handelnden Personen. Alessan-
dro Cagliostro, das historische Vorbild, der italienischer Abenteurer und
Hochstapler des 18. Jahrhunderts, wurde als Graf in den Adelsstand beför-
dert, die anderen Figuren wurden sozial abgesenkt. Die Personage wurde
etwas verkleinert und damit gestrafft. Gleichzeitig wurden die Personen
und ihre Handlungen schlüssiger, stringenter gezeichnet, so dass sie einen
gehobenen intellektuellen Anspruch erfüllten. Einige besonders drastische
Szenen, beispielsweise die der Verspottung alter Weiber, wurden gestrichen
Musikalisch verwandte Korngold anstelle des Strauß'schen Operet-
tenorchesters eine große romantische Sinfoniebesetzung: 2 Flöten, Oboe, 2
Klarinetten, 2 Englischhörner, 3 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Pauken,
Schlagwerk, Harfe, Celesta und Streicher. Formale Änderungen beginnen
bereits in der Ouvertüre, die neben Streichungen vor allem neue Überlei-
tungen und einen neuen Schluss erhielt. Noch stärker sind die Eingriff in
Walzer erwacht – die Neger entfliehen'. Erich Wolfgang Korngolds Operetten (be-
arbeitungen) von Eine Nacht in Venedig 1923 bis zur Stummen Serenade 1954“, in
Frankfurter Zeitschrift für Musikwissenschaft 12 (2009): 16–95, hier 28, https://doi.
org/10.5450/ejm.2009.12.6203.
11 Ibid.
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der Probenarbeit 1923 als Dirigent der Strauß'schen Operette Nacht in Ve
nedig im Bemühen, „die Operette so gut als möglich, im Geist ihres Schöpfers
und mit zeitgemäßer Wirkung aufzuführen“ begonnen, „an der Instrumen
tation zu feilen, den Klang pikanter zu gestalten,“ er habe
schwache Musikstücke entfernt und durch stärkere Strauß-Mu
sik ersetzt, [...] aus einer kleinen Tenorpartie eine richtige Richard
Tauber-Partie geschaffen, Einfluß auf Buch und Szene genommen
– und bei der Premiere war plötzlich eine regelrechte Neufassung
da,
ohne dass es ihm „im Drange der Probenarbeit überhaupt“ gewusst gewor-
den sei, eine solche erstellt zu haben.11 Es muss sich hier nicht um eine be-
wusste Mystifizierung des Schaffensvorgangs handeln, die Korngold zu sei-
ner Entschuldigung vorzubringen sich gedrängt sah, er beschreibt vielmehr
sehr plastisch, wie sich die musikalische Gattungstradition gegen theoreti-
schen Kunstanspruch durchgesetzt hat.
Die Fassung des Cagliostro in Wien von Ludwig Herzer und Korngold
kam am 13. April 1927 im Wiener Bürgertheater zur ersten Aufführung.
Die Personenkonstellation blieb in der neuen Fassung gegenüber der ur-
sprünglichen von Franz Zell und Richard Genée unverändert. Allerdings
änderten sich Namen und Sozialstatus der handelnden Personen. Alessan-
dro Cagliostro, das historische Vorbild, der italienischer Abenteurer und
Hochstapler des 18. Jahrhunderts, wurde als Graf in den Adelsstand beför-
dert, die anderen Figuren wurden sozial abgesenkt. Die Personage wurde
etwas verkleinert und damit gestrafft. Gleichzeitig wurden die Personen
und ihre Handlungen schlüssiger, stringenter gezeichnet, so dass sie einen
gehobenen intellektuellen Anspruch erfüllten. Einige besonders drastische
Szenen, beispielsweise die der Verspottung alter Weiber, wurden gestrichen
Musikalisch verwandte Korngold anstelle des Strauß'schen Operet-
tenorchesters eine große romantische Sinfoniebesetzung: 2 Flöten, Oboe, 2
Klarinetten, 2 Englischhörner, 3 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Pauken,
Schlagwerk, Harfe, Celesta und Streicher. Formale Änderungen beginnen
bereits in der Ouvertüre, die neben Streichungen vor allem neue Überlei-
tungen und einen neuen Schluss erhielt. Noch stärker sind die Eingriff in
Walzer erwacht – die Neger entfliehen'. Erich Wolfgang Korngolds Operetten (be-
arbeitungen) von Eine Nacht in Venedig 1923 bis zur Stummen Serenade 1954“, in
Frankfurter Zeitschrift für Musikwissenschaft 12 (2009): 16–95, hier 28, https://doi.
org/10.5450/ejm.2009.12.6203.
11 Ibid.
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