Page 40 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2023. Glasbena društva v dolgem 19. stoletju: med ljubiteljsko in profesionalno kulturo ▪︎ Music societies in the long 19th century: Between amateur and professional culture. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 6
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glasbena društva v dolgem 19. stoletju: med ljubiteljsko in profesionalno kulturo
Wie wichtig solche Beobachtungen sind, hat nicht nur das Beispiel der
Zuerkennung des Berner Silberpokals an den Wiener Männergesang-Ver
ein beim Großen Deutschen Sängerfest in Nürnberg gezeigt, sondern auch
die Tatsache, dass der DSB-Gesamtausschuss sich in seiner Sitzung 1864
mit der Anregung der Wiener Sänger befasste, einen „Ehrensold für Erst
aufführungen“ zu beschließen, wie ihn der Wiener Männergesang-Verein
schon lange an Komponisten vergab.48 Zweifellos hat sich im 19. Jahrhun-
dert die „soziale Ausstrahlung von Musik“, wie Philipp Ther formuliert, in
besonderer Weise in der Sängerbewegung manifestiert, „die in Deutsch-
land vor der Reichsgründung neben den Turnern den mächtigsten Pfei-
ler der Nationalbewegung bildete“ und wesentlicher Bestandteil kultureller
Identität wurde.49 Angesichts dieses Befundes erscheint es notwendig, Stu-
dien zur Untersuchung lokaler, regionaler und überregionaler Besonder-
heiten zu fördern und zu kontextualisieren.50
Ein eigenes umfassendes Forschungsfeld betrifft nicht nur den musi-
kalischen Kulturtransfer im engeren Sinn, sondern auch wirkungsmächti-
ge Momente in Verbindung mit Literaturgeschichte, so etwa, wenn Jakob
Eduard Schmölzer Texte von Müller von der Werra oder Johann Her-
beck Gedichte des aus Franken stammenden Georg Scheurlin (1802–1872)
vertonen.51
Hartmut Krones hat in seinem Greifswalder Vortrag von 2020 zu Recht
darauf aufmerksam gemacht, dass die österreichischen Sänger in Coburg
besonders herzlich begrüßt wurden, zugleich aber auch darauf hingewie-
Kulturarbeit in Tirol, Hrsg. Gabi Rothbacher, Hartmut Krones und Martin Ortner
(Innsbruck: „Eintracht“ Innsbruck, 2009), 61–88; Hartmut Krones, „Hanns Eisler
und die österreichischen Arbeitersänger. Seit 101 Jahren eine (bisweilen gestörte)
Liebesbeziehung“, Eisler-Mitteilungen 70 (2022): 12–9.
48 Gesamtausschuß, Der Deutsche Sängerbund, 44.
49 Philipp Ther, „Einführung. Zum Verhältnis von Musik und Nationsbildung im 19.
Jahrhundert“, in Musik und kulturelle Identität. Band 2, Hrsg. Detlef Altenburg und
Rainer Bayreuther (Kassel: Bärenreiter, 2004), 4.
50 Elisabeth Anzenberger-Ramminger, „150 Jahre Wiener Männergesang-Verein“, in
150 Jahre Wiener Männergesang-Verein 1843–1993, Hrsg. Wiener Männergesang-
Verein (Wien: Wiener Männergesang-Verein, 1992), 23–162; Christian Böhm, Doku
mentation der künstlerischen Aktivitäten des Wiener Männergesang-Vereins (Wien:
Wiener Männergesang-Verein, 1992); Christian K. Fastl, Musikalisches Alltagsleben
im südöstlichen Niederösterreich. Zum Gesangvereinswesen im 19. und 20. Jahrhun
dert (St. Pölten: NÖ Institut für Landeskunde, 2012).
51 Friedhelm Brusniak, „,Die lange sich vermißt / Und lang gesucht, die Beiden, / Poet und
Komponist‘. Georg Scheurlin (1802–1872) und Johann Herbeck (1831–1877)“, In|takt.
Mitteilungsblatt des Fränkischen Sängerbundes 67, Nr. 4 (2020): 6–7.
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Wie wichtig solche Beobachtungen sind, hat nicht nur das Beispiel der
Zuerkennung des Berner Silberpokals an den Wiener Männergesang-Ver
ein beim Großen Deutschen Sängerfest in Nürnberg gezeigt, sondern auch
die Tatsache, dass der DSB-Gesamtausschuss sich in seiner Sitzung 1864
mit der Anregung der Wiener Sänger befasste, einen „Ehrensold für Erst
aufführungen“ zu beschließen, wie ihn der Wiener Männergesang-Verein
schon lange an Komponisten vergab.48 Zweifellos hat sich im 19. Jahrhun-
dert die „soziale Ausstrahlung von Musik“, wie Philipp Ther formuliert, in
besonderer Weise in der Sängerbewegung manifestiert, „die in Deutsch-
land vor der Reichsgründung neben den Turnern den mächtigsten Pfei-
ler der Nationalbewegung bildete“ und wesentlicher Bestandteil kultureller
Identität wurde.49 Angesichts dieses Befundes erscheint es notwendig, Stu-
dien zur Untersuchung lokaler, regionaler und überregionaler Besonder-
heiten zu fördern und zu kontextualisieren.50
Ein eigenes umfassendes Forschungsfeld betrifft nicht nur den musi-
kalischen Kulturtransfer im engeren Sinn, sondern auch wirkungsmächti-
ge Momente in Verbindung mit Literaturgeschichte, so etwa, wenn Jakob
Eduard Schmölzer Texte von Müller von der Werra oder Johann Her-
beck Gedichte des aus Franken stammenden Georg Scheurlin (1802–1872)
vertonen.51
Hartmut Krones hat in seinem Greifswalder Vortrag von 2020 zu Recht
darauf aufmerksam gemacht, dass die österreichischen Sänger in Coburg
besonders herzlich begrüßt wurden, zugleich aber auch darauf hingewie-
Kulturarbeit in Tirol, Hrsg. Gabi Rothbacher, Hartmut Krones und Martin Ortner
(Innsbruck: „Eintracht“ Innsbruck, 2009), 61–88; Hartmut Krones, „Hanns Eisler
und die österreichischen Arbeitersänger. Seit 101 Jahren eine (bisweilen gestörte)
Liebesbeziehung“, Eisler-Mitteilungen 70 (2022): 12–9.
48 Gesamtausschuß, Der Deutsche Sängerbund, 44.
49 Philipp Ther, „Einführung. Zum Verhältnis von Musik und Nationsbildung im 19.
Jahrhundert“, in Musik und kulturelle Identität. Band 2, Hrsg. Detlef Altenburg und
Rainer Bayreuther (Kassel: Bärenreiter, 2004), 4.
50 Elisabeth Anzenberger-Ramminger, „150 Jahre Wiener Männergesang-Verein“, in
150 Jahre Wiener Männergesang-Verein 1843–1993, Hrsg. Wiener Männergesang-
Verein (Wien: Wiener Männergesang-Verein, 1992), 23–162; Christian Böhm, Doku
mentation der künstlerischen Aktivitäten des Wiener Männergesang-Vereins (Wien:
Wiener Männergesang-Verein, 1992); Christian K. Fastl, Musikalisches Alltagsleben
im südöstlichen Niederösterreich. Zum Gesangvereinswesen im 19. und 20. Jahrhun
dert (St. Pölten: NÖ Institut für Landeskunde, 2012).
51 Friedhelm Brusniak, „,Die lange sich vermißt / Und lang gesucht, die Beiden, / Poet und
Komponist‘. Georg Scheurlin (1802–1872) und Johann Herbeck (1831–1877)“, In|takt.
Mitteilungsblatt des Fränkischen Sängerbundes 67, Nr. 4 (2020): 6–7.
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