Page 36 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2023. Glasbena društva v dolgem 19. stoletju: med ljubiteljsko in profesionalno kulturo ▪︎ Music societies in the long 19th century: Between amateur and professional culture. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 6
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glasbena društva v dolgem 19. stoletju: med ljubiteljsko in profesionalno kulturo

Wir haben unsererseits nur den Wunsch beizufügen, es möchte bis
dahin die einfachste Entscheidung der Frage ermöglicht sein: der
freie Beitritt der östreichischen Sängerbünde! Dem deutschen Sän­
gerbunde würde wahrlich ein wesentliches Glied fehlen, wenn er
der herrlichen musikalischen Kräfte aus der Heimath der Haydn,
Mozart, Franz Schubert entbehren sollte! Bereits sind beinahe über
in Oestreich: in Nieder- und Oberöstreich, Salzburg, Tirol, Vorarl­
berg, Steiermark, Böhmen und Mähren die Sängerbünde zu fröhli­
chem Leben erblüht; in den Gegenden gemischter Nationalität sind
sie ein Sammelpunkt deutschen Wesens geworden. Freuen wir uns
inzwischen, daß der Anstoß zu Bildung des deutschen Sängerbun­
des aus der Sammlung der Liedertafeln in die Einzelsängerbün­
de auch der Anstoß geworden ist für die Bildung und Konstitui­
rung dieser das deutsche Lied und Wesen pflegenden östreichischen
Sängerbünde!31

Die Gründung des Deutschen Sängerbundes in Coburg 1862 kann
rückblickend für die weitere Entwicklung des vereins- und verbandsmä-
ßig organisierten deutschsprachigen Amateurchorwesens nicht hoch genug
eingeschätzt werden, wie ein Blick in das Taschenbuch für deutsche Sänger
aus dem Jahre 1864 von Eduard Kral, Mitglied des Wiener Männergesang-
Vereins, eindrucksvoll dokumentiert. Als prominentes Beispiel darf auf
die Mitteilung der Philharmonischen Gesellschaft in Laibach vom Mai 1863
an Kral verwiesen werden. Danach erfolgte nur knapp einen Monat nach
Gründung des DSB in der „ältesten musikalischen Körperschaft Oester-
reichs“, wie es in dem Eintrag heißt, eine bemerkenswerte Umorganisation:

Laibach (Krain). Philharmonische Gesellschaft, gegr. 1702, Ve­
nedig ausgenommen die älteste musikalische Körperschaft Oes­
terreichs, verbunden mit einem Gesangvereine, der seit 1848 von
einem eigenen Chormeister geleitet, 1862 als Männerchor der phil-
harm. Gesellschaft, mit Satzg. vom 19. Okt. 1862 ins Leben trat.32

Doch genau in dem Jahr, als Krals Taschenbuch für Deutsche Sänger
erschien, hatte bereits der Deutsch-Dänische Krieg von 1864 Kritik an Na-
tionalfesten hervorgerufen. Und als der preußisch-österreichische Krieg
von 1866 ausbrach, verstärkte sich diese Krise noch, führte zwar wie bei

31 Ibid., 44.
32 Eduard Kral, Hrsg., Taschenbuch für Deutsche Sänger (Wien: Hoffmann & Ludwig,

1864), 124.

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