Page 55 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2023. Glasbena društva v dolgem 19. stoletju: med ljubiteljsko in profesionalno kulturo ▪︎ Music societies in the long 19th century: Between amateur and professional culture. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 6
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„linke“ und „rechte“ amateurchöre im wien des 19. jahrhunderts ...

zunächst vor allem der am 28. Juni ins Leben gerufene „Erste Allgemeine
Arbeiterverein“,29 der aber ebenso wie alle anderen „linken“ Chöre sofort
nach den Oktoberkämpfen verboten wurde. (In Deutschland folgte übri-
gens Ende August die „Allgemeine Deutsche Arbeiterverbrüderung“, de-
ren Chöre dann – länderweise unterschiedlich – von 1850 bis 1854 dasselbe
Schicksal erlitten.30) Wie hart die politische Diskussion damals auch musi-
kalisch ausgefochten wurde, zeigen uns etwa die ersten beiden Strophen ei-
ner Kontrafaktur, die zur Melodie der englischen Hymne gesungen wurde
– besser: zur Melodie der Kaiserhuldigung „Heil dir im Siegerkranz, Herr-
scher des Vaterlands“: Der Text lautet: „Ehrt doch den Handwerksmann |

und auch den Bauersmann, arm oder reich ! Gleich gebaut, wie auch ihr, und
von derselben Zier, darum sind Menschen wir | alle uns gleich.“ Die 2. Stro-
phe lautet: „Denn ohne beider Stand | wird einst im Vaterland | kein Heil er­

blühn. Erst, wenn das Volk steht auf, Throne wirft über‘n Hauf, schlägt auf
die Pfaffen drauf, dann erst wird‘s grün.“31

Nach dem allgemeinen Verbot der Arbeiterchöre 1848 konnten sich in
Österreich erst ab 1863 einzelne Werkschöre bilden,32 bis das Vereinsgesetz
von 1867 in zahlreichen Städten des Landes (also auch in Böhmen, Mähren,
Schlesien, Slowenien und Südtirol) zur Gründung von Arbeiterbildungs-
sowie Arbeiter-Vereinen führte. (Die Geschichte des 1897 gegründeten, so-
wohl deutsche als auch slowenische Chöre interpretierenden Laibacher Ar-
beiter=Gesangsvereines „Vorwärts“ sowie seiner ab 1883 im Rahmen des
„Laibacher Arbeiter-Bildungs-Vereines“ tätigen Vorläufer habe ich ja 2005
dargestellt: im 5. Jahrgang des „Glasbeno-Pedagoški Zbornik“ anläßlich

beitergesanges in Österreich“, in 125 Jahre „Eintracht“ Innsbruck – 125 Jahre sozial­
demokratische Kulturarbeit in Tirol, Hrsg. Gabi Rothbacher, Hartmut Krones und
Martin Ortner (Innsbruck: Renner-Institut, 2009), 61–88.
29 Kleindel, Österreich. Zahlen. Daten. Fakten, 244.
30 Axel Kuhn, Die deutsche Arbeiterbewegung (Stuttgart: Reclam, 2004), 46ff., sowie
Frank Lorenz Müller, Die Revolution von 1848/49, 3. Auflage (Darmstadt: Wissen-
schaftliche Buchgesellschaft, 2009), 81. Vgl. Rainer Noltenius, Hg., Illustrierte Ge­
schichte der Arbeiterchöre (Essen: Klartext, 1992), 8f.
31 Flugblatt; Archiv des Österreichischen Volksliedwerks.
32 Helmut Brenner, „Stimmt an das Lied ...“. Das große österreichische Arbeitersän­
ger-Buch (Graz, Wien: Leykam, 1986), 17–20, sowie Hartmut Krones, „Zur Früh-
geschichte des Österreichischen Arbeitersängerbundes 1867–1901–1914”, in Choral
music and choral societies, and their role in the development of the national musi­
cal cultures. 18. slovenski glasbeni dnevi 2003 [Kongreßbericht], Hrsg. Primož Kuret
(Ljubljana: s. n., o. J. [2004]), 122–33, hier 124.

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