Page 51 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2023. Glasbena društva v dolgem 19. stoletju: med ljubiteljsko in profesionalno kulturo ▪︎ Music societies in the long 19th century: Between amateur and professional culture. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 6
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„linke“ und „rechte“ amateurchöre im wien des 19. jahrhunderts ...

ihre Witwen. Aktiv wurden in den Kirchenchören maximal einige Dut-
zend Personen, dafür gab es zahlreiche unterstützende Mitglieder – bis-
weilen bis zu 280. Und ergänzt muß werden, daß einige der Vereinigungen
auch Musikschulen für Laien unterhielten und „Akademien“ ihrer Schü-
ler veranstalteten. – Ab dem 1867 erlassenen liberalen Vereinsgesetz wurde
dann aber in fast jeder Pfarre ein Musikverein ins Leben gerufen.

Kurz sei ein Blick auf die bereits erwähnten Studentenchöre geworfen,
deren erster zwar 1828 gegründet wurde, aber lange allein blieb. Einen Auf-
schwung nahm das Studentenchorwesen erst nach der Gründung des „Wie-
ner Männergesangvereins“ von 1843 bzw. nach dessen „Genehmigung“ von
1845. Zwei Jahre lang war die Vereinigung den Politikern, und hier wohl
insbesondere den adeligen, allzu suspekt gewesen, gehörten ihm doch vor
allem „normale“ bürgerliche Menschen an. Schließlich mußte man sich
aber doch dem Zeitgeist des allgemeinen Chorwesens beugen. Insbesonde-
re Fürst Metternich ahnte, daß die Männerchöre zu einem gefährlichen po-
litischen Machtfaktor werden konnten, und äußerte sich diesbezüglich ein-
mal überaus deutlich: „Suchen Sie diese Pest Deutschland‘s mit aller Macht
zu unterdrücken“.11

Auch die Studentenchöre hatten ausschließlich männliche Mitglie-
der – ein alter Witz besagt, daß trotzdem auch Tenöre mitsingen durften.
Einige Männerchöre gründeten allerdings sogar kleine Frauenchöre, um
fallweise auch den gemischten Chorgesang pflegen zu können; Vereins-
mitglieder wurden die Frauen aber nicht. Daß nahezu alle Männerchöre
deutschnational eingestellt waren, ist bekannt, wobei man hier nicht mit
heutigen Maßstäben messen darf. War Wien doch bis 1806 de iure die deut-
sche Hauptstadt – nämlich des „Heiligen römischen Reiches deutscher Nati­
on“ – und bis 1866 immer noch auf dem Papier: Österreich mit der Haupt-
stadt Wien hatte den Vorsitz im Deutschen Bund inne, ehe es von Preußen
hinausgeekelt bzw. durch einen Krieg hinausgeschmissen wurde („Krieg“
– nicht nur die Russen konnten Bruderkriege anzetteln). Und noch in der
Zwischenkriegszeit nach 1918 bekannten sich alle großen Parteien Öster-
reichs zur deutschen Nation,12 bis ihnen diese (wenn auch nur partiell) von
den Nationalsozialisten verleidet wurde.

11 August Schmidt, Der Wiener Männergesang-Verein (Wien: Selbstverlag, 1868), 25.
12 So ist im am 29. November 1926 beschlossenen Programm der Christlichsozialen

Partei zu lesen: „Als national gesinnte Partei fordert die christlichsoziale Partei die
Pflege deutscher Art und bekämpft die Übermacht des zersetzenden jüdischen Ein­
flusses auf geistigem und wirtschaftlichem Gebiete“. Und im Programm der Sozial-
demokratischen Partei lesen wir: „Die Sozialdemokratie betrachtet den Anschluß

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