Page 50 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2023. Glasbena društva v dolgem 19. stoletju: med ljubiteljsko in profesionalno kulturo ▪︎ Music societies in the long 19th century: Between amateur and professional culture. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 6
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glasbena društva v dolgem 19. stoletju: med ljubiteljsko in profesionalno kulturo

der kirchlichen Obrigkeit. Wenn wir bedenken, daß auch hohe Geistliche
meist dem Adel entstammten, können wir uns die Unbillen und Ergebnis-
se dieser Prüfungen durchaus vorstellen. Zur Untermauerung: 1757–1803
war Christoph Anton Graf Migazzi Erzbischof von Wien, 1803–1820 Sigis-
mund Anton Graf von Hohenwart, 1822–1831 Leopold Maximilian von Fir-
mian. Und der erste bürgerliche Erzbischof, Vincenz Eduard Milde, erließ
im Zuge der Revolution von 1848 sogar ein Versammlungsverbot von Pries-
tern und wandte sich gegen die Gründung von katholischen Vereinen. Sein
Nachfolger war dann wieder ein Adeliger: Joseph Othmar Ritter von Rau-
scher. Wollen wir hoffen, daß ihm seine Ritterrüstung nicht zu schwer wur-
de. – Und eine Bestätigung des bisher Gesagten findet sich in der Tatsache,
daß bereits 5 Jahre vor dem ersten katholischen Kirchenmusikverein, näm-
lich 1818, ein „Evangelischer Singverein“ gegründet und bewilligt wurde.8

Wie dem auch sei, jedenfalls gab es 1848 nur 9 katholische Kirchenmu-
sikvereine, und die ausschließlich in Vorstädten, also außerhalb des Rings
– weit weg von Hofburg und Stephansdom. Und auch sie hatten gemäß ei-
ner Selbstdarstellung nur „Wohllaut und Assonanz“ der Kirchenmusik im
Sinn und pflegten ausschließlich deren „Veredelung“,9 waren also zumin-
dest offiziell völlig unpolitisch. – In einer Aufstellung sämtlicher Vereine
Wiens wurden sie übrigens denjenigen 14 Vereinen zugerechnet, die sich
der „Förderung der Wissenschaften“10 widmeten; Musik war also gar kein
primärer Vereinsgrund für die behördliche Zählung. Insgesamt gab es 1845
102 Vereine: 72 davon waren „Humanitätsvereine“, also Beerdigungsinsti-
tute, Kinderspitäler oder Kindergärten, 10 waren „Versorgungsanstalten“,
6 „Aktiengesellschaften“; Schluß. Der existierende „Chorregentenverein“
war eine reine Versorgungsanstalt, ein Pensionsinstitut für Chorleiter und

8 Eine Liste der in Wien (ab 1823) zugelassenen Kirchenmusik-Vereinigungen sie-
he bei Karl Schütz, „[Zur Geschichte der Chormusik im Gottesdienst] Erzdiözese
Wien“, in Kirchenchöre Österreichs. Ausgabe B mit Dokumentation von Chören der
Kirchenprovinz Wien, Hrsg. Johann Trummer (Graz: Universal, 1987), 109–25, hier
120, sowie bei Elisabeth Fritz-Hilscher, „G. Das 19. Jahrhundert (circa 1790/1800 bis
1918)“, in Wien. Musikgeschichte. Von der Prähistorie bis zur Gegenwart, Hrsg. Elisa-
beth Th. Fritz-Hilscher und Helmut Kretzschmer (Wien, Berlin: Lit, 2011), 271–357,
hier 318f.

9 Kurze Uebersicht des neu entstandenen [...] Kirchenmusik-Vereines an der franzö­
sischen Nationalkirche zu St. Anna (Wien, s. n., 1827), 3f, zit. nach: Walter Sauer,
„Kirchenmusikvereine im Wiener Vormärz. Kulturarbeit zwischen Bürgertum und
kirchlicher Restauration“, in Musikfreunde. Träger der Musikkultur in der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts, Hrsg. Ingrid Fuchs (Kassel etc.: Bärenreiter, 2017) 175–
89, hier 176.

10 Ibid., 177.

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