Page 81 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2023. Glasbena društva v dolgem 19. stoletju: med ljubiteljsko in profesionalno kulturo ▪︎ Music societies in the long 19th century: Between amateur and professional culture. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 6
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funktionen der musikvereine in einem multinationalen, soziokulturellen umfeld ...

Musikvereine spielen im Europa des 19. Jahrhunderts eine einzigar-
tige Rolle bei der Gestaltung der soziokulturellen Strategien vieler Länder
in der Phase des Übergangs von geschlossenen, aristokratischen Salons zu
demokratischen Institutionen und der Systematisierung des professionel-
len Musiklebens, wie auch die verschiedene Gesellschaften und Organi-
sationen von Musiker-Liebhaber. Musikvereine waren besonders wichtig
in multinationalen Regionen, wo sie als starker Faktor für das gegenseiti-
ge Verständnis und die Vereinigung der künstlerischen Bemühungen ver-
schiedener Völker dienten, und in Zeiten interethnischer Konflikte sogar
mehrmals zum Mechanismus der Versöhnung wurden. Ihr altruistisches
und humanistisches Wesen manifestiert sich in verschiedenen Aktivitäts-
dimensionen, in denen das Hauptziel unverändert über die Jahrzehnte be-
wahrt blieb: die Anhebung des Niveaus der Musikkultur im breiteren Rah-
men des Staates im Allgemeinen oder enger nur in einzelner Region.

Diese allgemeinen Überlegungen sind auf das konkrete Beispiel des
Galizischen Musikvereines (weiter GMV) gerichtet, welcher im Habsbur-
gerreich auf dem Territorium des Königreichs Galizien und Lodomerien
gegründet wurde. Aber der Weg zu diesem Verein in der neuangeschlos-
senen Provinz war lang und kompliziert, und erfolgte erst nach den lan-
gen und zuerst fast hoffnungslosen Bemühungen mehrerer Enthusiasten
der Musikkunst im Land.

Während der 1820er und 1830er Jahre wurde mehrfach der Versuch
unternommen, einen Musikverein zu organisieren. Im Jahre 1822 erging
der erste Aufruf zur Gründung eines Vereins zur Bildung eines Liebhaber-
oder Dilettantenorchesters.3 Zu Beginn der 1830er Jahre setzten die Akti-
vitäten ein, ab 1834 sind regelmäßige Proben zu verzeichnen, so daß der
Verein gewissermaßen inoffiziell bereits tätig war. Zwar hatte er noch kein
bestätigtes Statut, er organisierte aber trotzdem von Zeit zu Zeit symphoni-
sche Konzerte und Kammerkonzerte.4 Gleichzeitig bemühten sich die Mit-
glieder um die Formulierung einer Satzung mit allen notwendigen Para-
graphen, um ihre Vereinigung von Musikern und Liebhabern offiziell zu

3 Siehe dazu: Anon., „Towarzystwo muzyczne we Lwowie“ [Musikverein in Lemberg],
Gazeta Muzyczna i Teatralna (Warszawa), Nr. 1 (1866): 3, zit. nach: Mazepa und Ma-
zepa, Der Weg zur Musikakademie, 29.

4 Mnemosyne (Lemberg), Nr. 4 (9. Januar 1835): 15f.; Nr. 76 (6. Oktober 1835): 304; Nr.
29 (10. März 1836): 118; Nr. 37 (29. März 1836): 150; Nr. 51 (30. April 1836): 2–6; Nr.
115 (6. Oktober 1836): 462; Nr. 123 (25. Oktober 1836): 494; Nr. 129 (10. November
1836): 518; Nr. 131 (15. November 1836): 526; Nr. 137 (29. November 1836): 550, Nr.
142 (13. Dezember 1836): 570; Nr. 34 (23. März 1837): 136; Nr. 61 (30. Mai 1837): 244;
Nr. 37 (11. Mai 1838): 148.

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