Page 83 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2023. Glasbena društva v dolgem 19. stoletju: med ljubiteljsko in profesionalno kulturo ▪︎ Music societies in the long 19th century: Between amateur and professional culture. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 6
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funktionen der musikvereine in einem multinationalen, soziokulturellen umfeld ...

Hauptstadt Lemberg. Vor allem muß betont werden, daß in Galizien über
einhundert Jahre9, ca. 100 verschiedenartiger Vereine dieser Art bekannt
sind, was imponierende Vielfalt des Musiklebens der vertretenen Vereine
herausstreicht.

Musikvereine unterschiedlicher Art – einzeln profiliert oder multi-
disziplinär, d. h. integriert in anderen Bereichen künstlerischer Aktivitä-
ten zwischen dem 18. – zum Anfang des 20 Jahrhunderts blieben eines der
wichtigsten Zentren des geistlichen, intellektuellen, aufklärerischen Lebens
vieler europäischer Völker. Für die staatenlosen Nationen wurden diese zu
einem der wichtigsten Faktoren nationaler Identifikation und Anreize für
den Kampf um Unabhängigkeit. Dabei entwickelte sich jeder Verein sich
anders, die Richtlinien, Präferenzen und Leistungen wurden von den meh-
reren Voraussetzungen des konkreten historischen, gesellschaftlichen, po-
litischen Milieus festgelegt, vom Kreis der Organisatoren und Mitgliedern,
von örtlichen Musiktraditionen.

Bevor die wichtigsten soziokulturellen Funktionen des GMV aus-
führlicher besprechen werden, noch einige Worte zu den wichtigsten Vo-
raussetzungen in oben genannten Sinne. Erstens: Der GMV vereinigte die
galizische Elite von verschiedenen nationalen Schichten und gesellschaft-
lichen Gruppen. Die ersten Gründungsmitglieder des Vereins wurden im
„Verzeichnis sämtlicher Mittglieder des galizischen Musik-Vereins des Jahres
1839“ erwähnt. Gedruckt bei Peter Piller in Lemberg (1840) den ersten Pro-
tektoren des Vereins war Erzherzog Ferdinand von Oesterreich-Este, Ci-
vil und Militär General-Gouverneur von Galizien, seine Vertreter – Franz
Freiherr Krieg von Hochfelden, Direktor des Polizeiamtes Leopold von Sa-
cher-Masoch – die Österreicher, aber man trifft mehrere tschechische Fa-
milien – der Generaldirektor des Packdienstes Ludwig Blaga, der Bauinge-
nieur Moritz Hrdlička, die Mehrheit bildeten polnische Mitglieder – der
künftige Gouverneur von Galizien Waclaw Zalesski, der Dramatiker Graf
Aleksander Fredro, wie auch Ukrainer (Ruthener) – der Rektor der Univer-
sität Martin Barvinskyj, griechisch-katholischer Metropolit Mychajlo Le-
wytskyj u.m.a. Aber nicht nur solch prominente Personen gehörten zum
ersten Kreis dieses Vereines, unter den genannten 350 Mitgliedern waren
auch Lehrer, Ärzte, vermögendere Bürger – zumal die Mitgliedsgebühr des
Vereines gar nicht unerheblich war. Den Kern des Vereins bildeten natür-

9 Von 1826, wann die Gründung des Cäcilienvereins unter der Leitung von F. X. Mo-
zart erfolgte - bis 1939, dem Anfang der sowjetischen Okkupation Galiziens, wann
alle Musik- bzw. Chorvereine aufgelöst wurden.

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