Page 97 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2023. Glasbena društva v dolgem 19. stoletju: med ljubiteljsko in profesionalno kulturo ▪︎ Music societies in the long 19th century: Between amateur and professional culture. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 6
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funktionen der musikvereine in einem multinationalen, soziokulturellen umfeld ...

professionellen Musikern, regelmäßigen Proben des eigenen Orchesters
und der Chöre präsentierte der GMV ein umfangreiches Repertoire und
verbreitete besonders intensiv die neue Musik. Sehr oft wurden neue Wer-
ke prominenter westeuropäischer Komponisten schon bald nach der Ur-
aufführung hierorts aufgeführt. Bereits in der ersten Phase seiner Tätigkeit
kündigte der GMV seine ehrgeizigen Absichten an, das Repertoire ständig
mit klassischen und modernen Werken zu aktualisieren.

Den festen Kern des Repertoires in den ersten Jahrzehnten der Tätig-
keit des Vereins bildeten die Werke des 18. Jahrhunderts: vor allem der Wie-
ner Klassiker, aber auch von italienischen und französischen Komponisten.
Neben der Musikkunst der Vergangenheit hatte das Lemberger Publikum
die Möglichkeit, zeitgenössische Werke von führenden Komponisten der
Gegenwart, wie Felix Mendelssohn-Bartholdy, Hector Berlioz, Giacomo
Meyerbeer, Luigi Cherubini, Félicien-César David, Carl Maria von We-
ber, Gioacchino Rossini, Gaetano Donizetti, Vinzenco Bellini, Franz Liszt,
Giuseppe Verdi anzuhören. Oft trafen in die Konzertprogramme die Wer-
ke von damals populären, jetzt doch weniger bekannten Komponisten
– Anton Emil Titl, Peter Joseph von Lindpaintner, Heinrich Marschner,
Ferdinand Ries, Ludwig Spohr, Ignaz Moscheles, Johannes Kalliwoda, Jo-
hannes Verhulst, Carl Gottlob Reissiger. Dabei sind immer die Kompositi-
onen von ortansässige Autoren präsent: Johannes Ruckgaber, Joseph Chris-
toph Kessler (der in Lemberg 1820–1829 wirkte), Francischek Piontkowski,
Jozeph Baschny, Maurycy Machl und andere. Diese Tendenz zur ständigen
Verbreitung des Repertoires und die Aufführung neben den Werken der
bekanntesten Komponisten die Kompositionen heimischen Autoren sind
bis zu den letzten Jahren der Existenz des GMV, also bis 1939 bewahrt.

So war beispielsweise das Jahr 1843 besonders reich an Uraufführun-
gen im Rahmen der Konzertveranstaltungen des GMV. Das Lemberger
Magazin Leseblätter zitiert einen Artikel aus der Wiener Allgemeinen Mu­
sikzeitung über den Galizischen Musikverein.23 Die Wiener Presse würdigt
die fruchtbare Tätigkeit des Musikdirektors des Rechtsanwalts Franciszek
Piontkowski, insbesondere als Dirigenten, der beeindruckende musikali-
sche Werke zur Aufführung gebracht hat.

Im Artikel betonte man die Aufführung des Oratoriums Paulus von
F.  Mendelssohn-Bartholdy und Die nächtliche Heeresschau von A.E. Titl
(zweimal aufgeführt), Ouvertüre zur Oper Paria von Peter Joseph Lindpait-

23 Allgemeine musikalische Zeitung, 1843, zit. nach: Mazepa. Das soziokulturelle Phä­
nomen, 322.

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