Page 93 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2023. Glasbena društva v dolgem 19. stoletju: med ljubiteljsko in profesionalno kulturo ▪︎ Music societies in the long 19th century: Between amateur and professional culture. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 6
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funktionen der musikvereine in einem multinationalen, soziokulturellen umfeld ...

Die Aufführungen des Vereins sind keine Konzerte von Virtuosen;
sie sind eine Form der Verbesserung einzelner Mitglieder und der
gesamten Gemeinschaft auf dem Weg des Musizierens; was heu­
te noch unvollkommen ist, uns noch immer Schwierigkeiten berei­
tet und mit Fehlern überladen scheint - soll uns lehren, besser, er­
habener, vollkommener zu sein. Dazu ist es notwendig, wie in der
bildenden Kunst durch die Anschauung werter Bilder den richti­
gen Geschmack zu gestalten, auch in der Musik nur werte Muster
zu hören.22

Aufgrund der erklärten Ziele waren die Voraussetzungen für alle Mit-
glieder des Vereins festgelegt. Um künstlerische Interesse auf dem entspre-
chendem Niveau zu entwickeln, wie auch des Nachweises gründlicher Mu-
sikkenntnisse und praktischer Aufführungsfähigkeiten, wurde für alle
Mitglieder die ausnahmelose Teilnahme an allen vom Verein organisierten
Proben und Konzerten für mindestens drei Jahre obligat. Darüber hinaus
waren die Mitglieder des Vereins angehalten, Begeisterung für die Musik-
kunst der Region zu wecken, zu verbreiten und zu pflegen, sich in der Mu-
sikkunst durch Kenntnis von alter und neuer Musik und Studien der theo-
retischen Literatur sich damit ständig zu verbessern.

Um diese Absichten erfolgreich zu verwirklichen, veranstaltete der
GMV jährlich ein oder zwei obligate Abonnementskonzerte, ab 1853 sogar
vier verbindlich vorgeschriebene Abonnementskonzerte. Außerdem waren
auch verschiedene andere Musikveranstaltungen institutionalisiert: Kam-
mermusikabende, Musiksalons, sog. feierliche Akademien mit imponie-
renden Programmen. Die Mitglieder, Chöre und Orchester des GMV nah-
men an allen Kirchenfeiertagen der lateinischen Kirchen und manchmal
auch der griechisch-katholischen Kirche teil. In lateinischen Kirchen wur-
den große Orgelmessen aufgeführt, in den griechisch-katholischen – Li-
turgien mit Chorgesang; jedes Jahr führte man ein großes Requiem zum
Andenken der verstorbenen Mitglieder des Vereins auf. Darüber hinaus or-
ganisierte der GMV und verwandte Gesellschaften sog. außergewöhnliche
Konzerte, bei denen sie große symphonische, Kantaten- und Oratorienwer-
ke aufführten.

Binnen der langjährigen Geschichte des GMV wurden die Formen der
offenen Auftritte und Konzerte, wie auch Repertoirepräferenzen ergänzt
und bereichert. Schon ab den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts sind die

22 Leseblätter, Nr. 34 (23. März 1843), zit. nach: Mazepa. Das soziokulturelle Phänomen,
313.

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