Page 96 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2023. Glasbena društva v dolgem 19. stoletju: med ljubiteljsko in profesionalno kulturo ▪︎ Music societies in the long 19th century: Between amateur and professional culture. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 6
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glasbena društva v dolgem 19. stoletju: med ljubiteljsko in profesionalno kulturo

fessionalisierung und Modernisierung in allen Sphären des Musiklebens
verbunden.

Damit scheint besonders wichtig die dritte charakteristische Funk-
tion von Musikvereinen, die gleichzeitig einer der stärksten Anreize zur
Teilnahme am GMV wurde. Sie bezeichnet man als die Funktion der Er-
weiterung und Bereicherung der musikalischen und ästhetischen Weltan-
schauung. Es ging um das Bedürfnis, sich mit neuen Errungenschaften der
Musikkultur vertraut zu machen, einen breiteren Kreis musikalischer Ar-
tefakte anzueignen. Es scheint auf den ersten Blick mit der ersten Funkti-
on verwandt zu sein, tatsächlich gibt es unterschiedliche Ziele und Auf-
gaben: die kultur-aufklärerische Funktion zielt darauf ab, das Individuum
durch Musik zu erziehen, seine musikalische Kenntnisse und praktische
Fähigkeiten des Musizierens zu entwickeln und das oben genannte Ziel, so
weit wie möglich in seiner Umgebung all das zu präsentieren, was in die-
ser Zeit in der Musikwelt wertvoll und interessant erschien. Darüber hin-
aus entsprach ein solches Bedürfnis einem weiteren sehr starken Wunsch
der galizischen Gesellschaft, als neu angeschlossene Provinz der Metropo-
le zu zeigen, dass sie ihr auf dem Gebiet der kulturellen und künstlerischen
Interessen nicht unterlegen sind. Daher könnte man die Bedeutung dieser
Funktion um den Begriff der Selbstdarstellung erweitern.

Solche Ziele gehörten vom Anfang an zu den grundlegenden Tätig-
keiten des GMV. Der ständige Wunsch der Mitglieder von Gesellschaften,
sich der neuesten Errungenschaften der modernen Kultur zu bedienen und
dank ihrer höheren künstlerischen und intellektuellen Entwicklung eine
Lemberger Avantgarde Gesellschaft zu bilden. Hier liegt wohl auch einer
der starken Motivationsfaktoren, an den Veranstaltungen des Galizischen
Musikvereins teilzunehmen. Als Krönung dieses Prozesses gelten die Kon-
takte zu den herausragenden Musikern dieser Zeit, die Ernennung mehre-
ren weltberühmten Musikern zu den Ehrenmitgliedern des GMV. Damit
sind vor allem die Konzerte von Franz Liszt im Jahr 1847 zu erwähnen, von
der Direktion des GMV unter der Leitung von Johannes Ruckgaber orga-
nisiert, auch zahlreiche Gastauftritte der Ehrenmitglieder auf der Lember-
ger Bühne, wie Johannes Brahms, François Servais, Stanislaw Moniuszko,
Ludwig Bösendorfer, Napoléon-Henri Reber, Henryk Wieniawski, Ignacy-
Jan Paderewski u. m. a.

In den Rahmen der Realisierung dieser Funktion betrachtet man die
Aufnahme und Förderung mehrerer literarischen und musikalischen Neu-
heiten aus ganz Europa. Dank der Zusammenarbeit von Amateuren und

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