Page 79 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2025. Glasbena interpretacija: med umetniškim in znanstvenim┊Music Interpretation: Between the Artistic and the Scientific. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 8
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die etwas andere „wiener schule“: eduard steuermann und seine lemberger schüler
                 in den dynamischen Effekten, übertriebenes Phrasieren, das Fehlen des
                 Begriffs der edlen Einfachheit – hätten solche grundlegenden Mängel
                 Herrn Hermelin nicht daran gehindert, sich um künstlerische Lorbee-
                 ren in nicht allzu ferner Zeit zu bewerben?
                 Ja; wieder ein bisschen Talent und viel Mut. 36

                 In Lemberg hingegen fand er große Anerkennung, vor allem von Sei-
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            ten Stefania Lobaczewska  und Wassyl Barwinskyj.  Ende der 1920er Jahre
            trat A. Hermelin aktiv in Österreich, Frankreich, Italien, Spanien, Schweiz,
            Algerien, Tunesien, Brasilien, Uruguay, Chile, Argentinien und in den
            USA, bevor er endgültig in seine Heimatstadt kehrte. Ab 1934 unterrichte-
            te Hermelin fortgeschrittene Studenten am Konservatorium der PMG, in
            den Jahren 1939-41 am reorganisierten staatlichen Konservatorium „Myko-
            la Lysenko“. Nach dem Nazi-Einmarsch lebte er im Lemberger Ghetto: sein
            Vater beging bereits im Jahr 1941 Selbstmord, Artur wurde am 16. März
            1942 ermordet.
                 Zusammenfassend zeigten nicht alle Steuermann´s Lemberger Schüler
            aus der Wiener Periode Interesse für die Neue Musik (dieser Mythos wur-
            de allerdings schon in den neusten Schriften zu Steuermann mehrmals de-
            mentiert), aber gewisse Merkmale, die Steuermann selbst aus der Metho-
            de Vilem Kurz übernahm und wunderbar im bereits erwähnten Beitrag in
            Tempo zusammenfasste, nämlich:
            –    Werktreue;
            –    klassisches Repertoire als Plattform für die Beherrschung der
                 universellen Fähigkeiten, die für die Interpretation der romanti-
                 schen und neuen Musik auch wichtig sind;
            –    Transparenz und Klarheit der Interpretation;
            –    Hochpräzise pianistische Technik;
            –    Differenzierte Artikulation;
            –    Hohe Klangkultur;
            –    Ablehnung der romantischen Phrasierung und deren Ersetzung
                 durch eine detaillierte melodische Intonation.
            36   P[iotr] Rytel, „Wieczory muzyczne [Musikabende]”, Gazeta  Warszawska  Poranna
                 152, Nr. 329 (1. Dezember 1926): 4.
            37   Dr. St[efania] Łob[aczewska], „Z sali koncertowej. Artur Hermelin [Aus dem Kon-
                 zertsaal. Artur Hermelin]”, Gazeta lwowska 121, Nr. 290 (16. Dezember 1931): 3.
            38   W[assyl] Barwinskyj, „З концертової залі [Aus dem Konzertsaal]“, Dilo XLIII, Nr.
                 262 (21. November 1925): 4.


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