Page 78 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2025. Glasbena interpretacija: med umetniškim in znanstvenim┊Music Interpretation: Between the Artistic and the Scientific. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 8
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                 Dass er dennoch vollkommen auf seinem Platz war, auch im Vergleich
                 zu den späteren Preisträgern, steht außer Frage. 32
                 Es ist besonders interessant, dass im Jahr 1919 A. Hermelin von den
            Kritikern als Schüler von V. Kurz positioniert wurde, im nächsten Jahr be-
            reits im Jänner schon jedoch als der Schüler von J. Lalewicz,  was auch
                                                                      33
            dem tatsächlichen Stand der Dinge entsprach. Im Jahr 1920 trat der Pianist
            beim Eröffnungskonzert des Jüdischen Symphonieorchesters auf, das von
            seinem Vater, einem Amateurdirigenten, gegründet worden war. 34
                 Kurz danach reiste er nach Wien und setzte seine Ausbildung bei Edu-
            ard Steuermann bis ca. 1923 oder 1924 fort. Auch im Weiteren behielt Ar-
            tur Hermelin eine innige Bewunderung für seinen Lehrer bei, wofür auch
            ein 1927 Steuermann gewidmetes Foto spricht, mit der Widmung auf Pol-
            nisch: „An meinen lieben Professor und seine Frau, mit Dankbarkeit für all
            die wunderbaren Momente, die wir gemeinsam verbracht haben, In aufrich-
            tiger Ergebenheit, Arthur Hermelin“. 35
                 Nicht ohne Einflüsse seines Lehrers wurde A. Hermelin zu einem den
            ersten Befürworter und Propagandisten der neuen polnischen Musik, mit
            der er sich vor allem in Paris angefreundet hatte, wo er seit 1923 oder 1924
            bei dem französischen Pianisten ukrainischer Herkunft Alexandre Brai-
            lowsky (1896–1976) weiter studierte. In Paris kam A. Hermelin auch mit
            dem Stowarzyszenie Młodych Muzyków Polaków (Verein junger polnischer
            Musiker) näher, der 1926 von Piotr Perkowski, Feliks Roderyk Łabuński
            und Stanisław Wiechowicz gegründet wurde. 1926 gab der Pianist Konzerte
            in Warschau und Paris. Seine Auftritte stießen vor allem in Warschau auf
            harsche Kritik. Piotr Rytel, für seine konservativen, antimodernistischen,
            aber auch antisemitischen Ansichten bekannt, fragte im Jahr 1926 rheto-
            risch der Leserschaft:

                 War es noch vor einigen Jahren vorstellbar, dass jemand auf einer ernst-
                 haften Bühne ein Beethoven-Konzert ohne jegliches Gefühl und Ver-
                 ständnis für den Stil spielt? Ständige Tempowechsel, Übertreibungen
            32   (st.n.) [Stanislaw Niewiadomski], „Konkurs dla pianistów i pianistek narodowości
                 polskiej im. I. J. Paderewskiego [I. J. Paderewski-Wettbewerb für Pianisten und Pia-
                 nistinnen polnischer Herkunft]“, Gazeta muzyczna I, Nr. 19–20 (15. Juli 1919): 137.
            33   E[dmund] Walter, „Z sali koncertowej [Aus dem Konzertsaal]“,  Kurjer  Lwowski
                 XXXVIII, Nr. 7 (7. Jänner 1920): 12.
            34   E[dmund] Walter, „Koncert Żydowskiej Orkiestry Symfonicznej [Konzert des Jüdi-
                 schen Symphonieorchesters]“, Kurjer Lwowski XXXVIII, Nr. 139 (6. Juni 1920): 6.
            35   Biblioteka Narodowa w Warszawie, Foto von Artur Hermelin mit Autogramm,
                 https://polona.pl/preview/6c8032be-6bd1-47b5-8e8f-eed23e9921d4.


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