Page 104 - Weiss, Jernej, ur. 2018. Nova glasba v “novi” Evropi med obema svetovnima vojnama ?? New Music in the “New” Europe Between the Two World Wars. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 2
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nova glasba v »novi« evropi med obema svetovnima vojnama

gen gestaltete sich die sozialistisch-realistische Kunst als eine totale Lüge,
dazu sehr langweilig und unschön. In der Musik scheint schwerer zu lü-
gen, als in der Literatur oder bildender Kunst, doch mit den entsprechen-
den Wörtern und Sujets – ganz möglich. Dass diese Musik unästhetisch,
plakativ und banal war, merkt man auch bei den besten Komponisten, wie
­Latoschynskyj oder Rewutskyj, die gezwungen sind, die ideologisch enga-
gierten Werken zu schreiben.

Ein gewisser Teil von ukrainischen Komponisten möchte doch gerne
solches Kunstprodukt herstellen. An der Liste ukrainischer Musikwerke,
die in der Zeitspanne 1930 bis 1985 geschaffen sind, findet man jede Menge
Opera, die den kommunistischen Führern, flammenden Revolutionären,
oder sowjetischen „roten Daten“ gewidmet sind, mit voller Überzeugung
geschrieben. Manche Werke – wie schon früher erwähnt – sind zwangsläu-
fig geschrieben, aber mangelt nicht an solche Autoren, die hauptsächlich
dieser Methode Präferenz gegeben haben, wie z. B. Kostjantyn Boguslaws-
kyj (obwohl seine Lieder über Rote Armee rettete ihn nicht vor den Repressa-
lien), Walerian Dowshenko, Mykola Dremluha, u. m. a.

Für die Musik, nach der Methode des sozialistischen Realismus ge-
schaffen, ist erforderlich und typisch:

- Strikt beschränkte Thematik – der revolutionäre Kampf, der Tod
im Namen des Sieges revolutionärer Idealen, die Bestrafung der
Verräter und Feinde, das Besingen der Führer und unzahlreiche
ähnliche Themata;

- die Bevorzugung der sog. „demokratischen Gattungen“ – Mas-
senlied, Chöre, wie auch pompöse Kantaten, Oratorien und
Opern;

- ganz einfache Melodielinie in sich geschlossenen, „quadrati-
schen“ Periode entfaltet;

- drei vorherrschende rhythmische Modi: entweder geschlage-
ner Marschrhythmus oder mäßige reguläre Bewegung nach dem
Muster des russischen sog. „langgezogenen Lieds“ (протяжная
песня), oder der Walzenrhythmus;

- traditionelle Harmonik, die nicht die Regeln des XIX. Jh. (­ Glinka,
„das Mächtige Häuflein“) überwindet, monoton wiederholende
einfachste diatonische Harmoniefolgen;

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