Page 86 - Weiss, Jernej, ur. 2018. Nova glasba v “novi” Evropi med obema svetovnima vojnama ?? New Music in the “New” Europe Between the Two World Wars. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 2
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nova glasba v »novi« evropi med obema svetovnima vojnama
tarier. Seine Schicksale versinnbildlicht das Oratorium in packenden Sze-
nen: Geburt in der trostlosen Armeleutewohnung, Lehre, Erniedrigung
durch die Macht des Kapitals, aber auch erhebendes Solidaritätsbewußt-
sein, Glaube an die Zukunft des Arbeiters und Befreiung.“ Der Sprechchor
war hier zudem auch als „Bewegungschor“ eingesetzt.18
„Hiob“ wurde am 10. Februar (!) 1934 im „Bildungsverein Gartenstadt
X.“ wiederholt und hier als „Ein Bild der Wirklichkeit aus den Leunawer-
ken“ angekündigt, welche Fabrik ja 13 Jahre zuvor schon von Berta Lask an-
geprangert wurde. – Nach dem 12. Februar konnte sich dann im „Volksheim
Ottakring“ unter dem Geschäftsführer Dr. Viktor Matejka eine freidenke-
rische Zelle bilden, die weiterhin liberales Gedankengut in künstlerische
Produktionen einfließen ließ. Just der „Hiob“ brachte dann aber ein Ende
dieser Aktivitäten mit sich, da eine Aufführung dieses „Oratoriums für Fa-
brikarbeiter“ am 3. Juni 1936 zu einem Eklat und zur Absetzung Matejkas
führte; Matejka behielt lediglich sein Amt als Bildungsreferent der Arbei-
terkammer bei.19 (Nach 1945 war er bekanntlich einige Jahre Wiener Stadt-
rat für Kultur – einer der bislang wenigen guten.)
Trotzdem fanden – jetzt unter Titeln wie „Gemeinschaftsveranstal-
tung der Arbeiterschriftsteller“ oder „Neue Arbeiter=Dichtung. Beiträge
von Mitgliedern des österreichischen Arbeiter=Schriftsteller=Verbandes“
– weiter Abende mit „linken“ Sprechchören statt, von den Austrofaschi
sten immer mehr bedrängt und 1938 von den Nationalsozialisten endgül-
tig verboten.
Der Vortrag darf nicht enden, ohne den berühmtesten Sprechchor je-
ner Jahre, die „Fuge aus der Geographie“ (Abbildung 6) des Wieners Ernst
Toch einzubeziehen. Es ist dies ein 1930 für die Berliner Festtage für zeit-
genössische Musik aus geographischen Begriffen gebasteltes dadaistisches
Szenario im besten Sinne, das von der konservativen Kritik sofort verteu-
felt wurde; bereits damals hing das Verdikt einer „entarteten Kunst“ in der
Luft, das wenige Jahre später tatsächlich „offiziell“ ausgesprochen wurde
und Ernst Toch ebenso wie Raoul Hausmann, Hanns Eisler, W ladimir Vogel
und viele andere traf. Einer der erschrockensten „Spießbürger“ war damals
der Musikrezensent des „Berliner Tageblatt“, der später selbst zur Emigra-
tion gezwungene Alfred Einstein, der Tochs Werk exzessiv beschimpfte:
„Gute Musik, für die Schallplatte express geschrieben, kann ewig
nur auf ihr reproduziert werden; also kann ,schallplatteneige-
18 Arbeiter-Zeitung, 25. Jänner 1934, S. 8.
19 „Mitteilungen der Volkshochschule“, Wien Volksheim, 4. Mai 1936, S. 8.
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tarier. Seine Schicksale versinnbildlicht das Oratorium in packenden Sze-
nen: Geburt in der trostlosen Armeleutewohnung, Lehre, Erniedrigung
durch die Macht des Kapitals, aber auch erhebendes Solidaritätsbewußt-
sein, Glaube an die Zukunft des Arbeiters und Befreiung.“ Der Sprechchor
war hier zudem auch als „Bewegungschor“ eingesetzt.18
„Hiob“ wurde am 10. Februar (!) 1934 im „Bildungsverein Gartenstadt
X.“ wiederholt und hier als „Ein Bild der Wirklichkeit aus den Leunawer-
ken“ angekündigt, welche Fabrik ja 13 Jahre zuvor schon von Berta Lask an-
geprangert wurde. – Nach dem 12. Februar konnte sich dann im „Volksheim
Ottakring“ unter dem Geschäftsführer Dr. Viktor Matejka eine freidenke-
rische Zelle bilden, die weiterhin liberales Gedankengut in künstlerische
Produktionen einfließen ließ. Just der „Hiob“ brachte dann aber ein Ende
dieser Aktivitäten mit sich, da eine Aufführung dieses „Oratoriums für Fa-
brikarbeiter“ am 3. Juni 1936 zu einem Eklat und zur Absetzung Matejkas
führte; Matejka behielt lediglich sein Amt als Bildungsreferent der Arbei-
terkammer bei.19 (Nach 1945 war er bekanntlich einige Jahre Wiener Stadt-
rat für Kultur – einer der bislang wenigen guten.)
Trotzdem fanden – jetzt unter Titeln wie „Gemeinschaftsveranstal-
tung der Arbeiterschriftsteller“ oder „Neue Arbeiter=Dichtung. Beiträge
von Mitgliedern des österreichischen Arbeiter=Schriftsteller=Verbandes“
– weiter Abende mit „linken“ Sprechchören statt, von den Austrofaschi
sten immer mehr bedrängt und 1938 von den Nationalsozialisten endgül-
tig verboten.
Der Vortrag darf nicht enden, ohne den berühmtesten Sprechchor je-
ner Jahre, die „Fuge aus der Geographie“ (Abbildung 6) des Wieners Ernst
Toch einzubeziehen. Es ist dies ein 1930 für die Berliner Festtage für zeit-
genössische Musik aus geographischen Begriffen gebasteltes dadaistisches
Szenario im besten Sinne, das von der konservativen Kritik sofort verteu-
felt wurde; bereits damals hing das Verdikt einer „entarteten Kunst“ in der
Luft, das wenige Jahre später tatsächlich „offiziell“ ausgesprochen wurde
und Ernst Toch ebenso wie Raoul Hausmann, Hanns Eisler, W ladimir Vogel
und viele andere traf. Einer der erschrockensten „Spießbürger“ war damals
der Musikrezensent des „Berliner Tageblatt“, der später selbst zur Emigra-
tion gezwungene Alfred Einstein, der Tochs Werk exzessiv beschimpfte:
„Gute Musik, für die Schallplatte express geschrieben, kann ewig
nur auf ihr reproduziert werden; also kann ,schallplatteneige-
18 Arbeiter-Zeitung, 25. Jänner 1934, S. 8.
19 „Mitteilungen der Volkshochschule“, Wien Volksheim, 4. Mai 1936, S. 8.
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