Page 158 - Weiss, Jernej, ur. 2019. Vloga nacionalnih opernih gledališč v 20. in 21. stoletju - The Role of National Opera Houses in the 20th and 21st Centuries. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 3
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vloga nacionalnih opernih gledališč v 20. in 21. stoletju

mehr als zwei bis drei Saisonen überstand. Trotz allem war das Niveau der
Opern- und besonders der Balletttruppen sehr hoch.

Die Situation änderte sich Ende der 1970er Jahre. Der die Leitung des
Theaters übernehmende Juri Temirkanow nahm Kurs auf die Erneuerung
des Repertoires, auf die Gewinnung neuer Regisseure und Ballettmeister.
In die Geschichte des Theaters gingen die Aufführungen von „Eugen One-
gin“ und der „Pique Dame“ von Tschaikowski durch Temirkanow ein, mit
denen der Wechsel zu modernen Regie- und Schauspielkonzepten begann.
In jener Zeit gelang es der Balletttruppe, das Exklusivrecht zur Aufführung
von Stücken in der Choreographie von George Balanchine auf der Büh-
ne des Mariinski-Theaters zu erhalten, der bekanntlich hier seine außerge-
wöhnliche Karriere begann.

Aber die einschneidensten Veränderungen begannen mit der Über-
nahme der Leitung durch Valeri Gergijew (1988).3 Anfänglich ohne Hektik,
aber dann mit zunehmender Geschwindigkeit reorganisierte er die Arbeit
des Kollektivs. Im 21. Jahrhundert erhielt das Theater faktisch neue Funkti-
onen. Unter den Bedingungen der besonderen gesellschaftlichen Ordnung
des heutigen Russlands mit seinem personifizierten sozialen Leben befin-
det sich die Tätigkeit des Mariinski-Theaters an der Schnittstelle der ei-
gentlichen künstlerischen Selbstdarstellung und gewisser kulturpolitischer
Paradigmen. Durch die in einer Person vereinigten Funktionen des Di-
rektors, des künstlerischen Leiters und des Hauptdirigenten erhielt Vale-
ri Gergijew die einzigartige Möglichkeit der grenzenlosen Erweiterung des
Repertoires und seiner stilistischen Umsetzung bei nicht vorhandenen Prä-
zedenzfällen der privaten und staatlichen Finanzierung.

Ein ausführlicher Bericht über das Theater würde sicher die gesamte
Zeit unserer Konferenz in Anspruch nehmen. Deshalb gestatte ich mir, nur
an den wichtigen Momenten zu verweilen.

Ich beginne mit der materiellen Basis. Sie ist beeindruckend. Zum
Theater gehören drei Gebäude. Neben dem historischen Haus (Baujahr
1860) gibt es einen Neubau (das sogenannte „Mariinski 2”), der 2013 eröff-
net wurde. Seine ursprünglichen Kosten erwiesen sich letztendlich als über
doppelt so hoch – statt 9 ganze 22 Milliarden Rubel (315 Millionen Euro)4.
Die Gesamtfläche des Mariinski 2 beträgt 79.114 Quadratmeter. Die Anzahl
der Sitzplätze beläuft sich auf bis zu 2000. Im Theater gibt es sieben über-

3 Jossif Raiskin, Memoiren des „Philharmanjaks“ (Sankt Petersburg: Verlag Internati-
onale Kultur und Ausbildungsfond, 2017), S. 61.

4 Webseite des Mariinski-Theaters – mariinski.ru. Abrufdatum, 1.3.2018

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