Page 42 - Weiss, Jernej, ur. 2020. Konservatoriji: profesionalizacija in specializacija glasbenega dela ▪︎ The conservatories: professionalisation and specialisation of musical activity. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 4
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konservator iji: profesionalizacija in specializacija glasbenega dela
als musikalische Bewahranstalt schon von seinem Namen her eher den tra-
ditionellen Werten verschrieben als Neuem aufgeschlossen, und gerade das
Königliche Konservatorium der Musik zu Leipzig galt als durch und durch
konservativ. Dies entsprach tatsächlich seinem Selbstverständnis, wie aus
dem „Personalverzeichnis W. S. 1921–22“ hervorgeht, in dem unter dem Ti-
tel „Der Werdegang des Konservatoriums der Musik in Leipzig“ zu lesen ist:
„Von Anfang an war damit dem Konservatorium der Geist eines gewissen ge-
sunden Konservativismus mitgegeben worden, den es bis heute nicht verloren
hat.“ Und weiter: „daß die Neuromantik, als deren Stammvater Liszt anzuse-
hen ist, am Leipziger Konservatorium wenig Eingang fand.“2 Die Führungs-
persönlichkeiten im Senat des Konservatoriums bildeten zu dieser Zeit
Professor Stephan Krehl, Studiendirektor [...], Professor Paul Gra-
ener, stellvertr. Studiendirektor [...], Professor Otto Lohse, Opern-
direktor [...], Professor Karl Straube, Thomaskantor [...], Professor
Robert Teichmüller [...].
Die Situation in Deutschland nach 1918 darf ohne Übertreibung als
katastrophal schlecht beschrieben werden. Eine vernichtende Niederla-
ge und ein bedingungslos angenommener Friedensvertrag von Versailles
demütigten eine Nation, die sich zuvor als fortschrittliche Gesellschaft an
der Spitze menschlicher Evolution wähnte. Dazu kam eine wirtschaftliche
Not, die den Menschen einen täglichen Überlebenskampf aufzwang. Un-
ter diesen bedrückenden Verhältnissen standen alle Institutionen in Fra-
ge und mussten sich neu legitimieren, um weiter existieren zu können. Das
Leipziger Konservatorium suchte sein Heil in Johann Sebastian Bach, des-
sen gesellschaftliche Bedeutung in Deutschland bis zum Ersten Weltkrieg
beständig zugenommen und einen bis dahin unbekannten Hochstand er-
reicht hatte.3 Karl Straube war an dieser Entwickung seit 1903 als Thomas-
per, Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem, Festival Ljubljana, 2018), 51–62.
Ich knüpfe hier an mehrere Beiträge an, die ich hier in Ljubljana gehalten habe: „Die
kunstreligiöse Botschaft der Leipziger Musikwissenschaft im späten 19. und frühen
20. Jahrhundert“, Muzikološki Zbornik 50, Nr. 2 (2014): 43–51. „Synkretismus in der
Musik um 1900“, in Fin de Siècle and Gustav Mahler (=26th Slovenian Musical Days
2011), hrsg. von Primož Kuret (Ljubljana: Festival Ljubljana, 2012), 73–80.
2 Siehe dazu auch Johannes Forner, „Leipziger Konservatorium und „Leipziger
Schule“. Ein Beitrag zur Klassizismus-Diskussion“, Die Musikforschung 50, Nr. 1
(1997): 31–36; Martin Wehnert, Hansachim Schiller und Johannes Forner, Hrsg.,
Hochschule für Musik Leipzig gegründet als Conservatorium der Musik 1843–1968
(Leipzig: Hochschule für Musik, 1968).
3 Siehe dazu Michael Heinemann und Hans-Joachim Hinrichsen, Hrsg., Bach und die
Nachwelt. Bd. 3: 1900–1950 (Laaber: Laaber Verlag, 2000), hier besonders Wolfgang
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als musikalische Bewahranstalt schon von seinem Namen her eher den tra-
ditionellen Werten verschrieben als Neuem aufgeschlossen, und gerade das
Königliche Konservatorium der Musik zu Leipzig galt als durch und durch
konservativ. Dies entsprach tatsächlich seinem Selbstverständnis, wie aus
dem „Personalverzeichnis W. S. 1921–22“ hervorgeht, in dem unter dem Ti-
tel „Der Werdegang des Konservatoriums der Musik in Leipzig“ zu lesen ist:
„Von Anfang an war damit dem Konservatorium der Geist eines gewissen ge-
sunden Konservativismus mitgegeben worden, den es bis heute nicht verloren
hat.“ Und weiter: „daß die Neuromantik, als deren Stammvater Liszt anzuse-
hen ist, am Leipziger Konservatorium wenig Eingang fand.“2 Die Führungs-
persönlichkeiten im Senat des Konservatoriums bildeten zu dieser Zeit
Professor Stephan Krehl, Studiendirektor [...], Professor Paul Gra-
ener, stellvertr. Studiendirektor [...], Professor Otto Lohse, Opern-
direktor [...], Professor Karl Straube, Thomaskantor [...], Professor
Robert Teichmüller [...].
Die Situation in Deutschland nach 1918 darf ohne Übertreibung als
katastrophal schlecht beschrieben werden. Eine vernichtende Niederla-
ge und ein bedingungslos angenommener Friedensvertrag von Versailles
demütigten eine Nation, die sich zuvor als fortschrittliche Gesellschaft an
der Spitze menschlicher Evolution wähnte. Dazu kam eine wirtschaftliche
Not, die den Menschen einen täglichen Überlebenskampf aufzwang. Un-
ter diesen bedrückenden Verhältnissen standen alle Institutionen in Fra-
ge und mussten sich neu legitimieren, um weiter existieren zu können. Das
Leipziger Konservatorium suchte sein Heil in Johann Sebastian Bach, des-
sen gesellschaftliche Bedeutung in Deutschland bis zum Ersten Weltkrieg
beständig zugenommen und einen bis dahin unbekannten Hochstand er-
reicht hatte.3 Karl Straube war an dieser Entwickung seit 1903 als Thomas-
per, Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem, Festival Ljubljana, 2018), 51–62.
Ich knüpfe hier an mehrere Beiträge an, die ich hier in Ljubljana gehalten habe: „Die
kunstreligiöse Botschaft der Leipziger Musikwissenschaft im späten 19. und frühen
20. Jahrhundert“, Muzikološki Zbornik 50, Nr. 2 (2014): 43–51. „Synkretismus in der
Musik um 1900“, in Fin de Siècle and Gustav Mahler (=26th Slovenian Musical Days
2011), hrsg. von Primož Kuret (Ljubljana: Festival Ljubljana, 2012), 73–80.
2 Siehe dazu auch Johannes Forner, „Leipziger Konservatorium und „Leipziger
Schule“. Ein Beitrag zur Klassizismus-Diskussion“, Die Musikforschung 50, Nr. 1
(1997): 31–36; Martin Wehnert, Hansachim Schiller und Johannes Forner, Hrsg.,
Hochschule für Musik Leipzig gegründet als Conservatorium der Musik 1843–1968
(Leipzig: Hochschule für Musik, 1968).
3 Siehe dazu Michael Heinemann und Hans-Joachim Hinrichsen, Hrsg., Bach und die
Nachwelt. Bd. 3: 1900–1950 (Laaber: Laaber Verlag, 2000), hier besonders Wolfgang
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