Page 44 - Weiss, Jernej, ur. 2020. Konservatoriji: profesionalizacija in specializacija glasbenega dela ▪︎ The conservatories: professionalisation and specialisation of musical activity. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 4
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konservator iji: profesionalizacija in specializacija glasbenega dela
mann als Titel des Buches die verkürzte Überschrift eines Vortrags, den
Ramin 1954 an der Universität Zürich gehalten hatte: „Johann Sebastian
Bach. Ende und Anfang“. Der originale Titel hatte gelautet: „Johann Sebas-
tian Bach als Ende und Anfang und seine Bedeutung für die geistige Ent-
wicklung der Jugend“.7 Ramin stellte ganz bewusst das berühmte Diktum
eines früheren, berühmten Konservatoriumlehrers, Max Regers, von Bach
als „Anfang und Ende aller Musik“ um. Ein anderer Titel eines bis dahin
unveröffentlichten Beitrags von Ramin trägt die Überschrift „Bachs Tota-
lität in Werk und Wesen“. Die Wortwahl verweist direkt in den Bereich des
Totalitarismus des Dritten Reiches, in die gerade die hier geschilderte Leip-
ziger Schule sich vielfach verstrickt hat. In teilweise erregten Auseinander-
setzungen ist dies in den letzten Jahrzehnten aufgearbeitet worden.8
Die wirtschaftlichen Probleme des Konservatoriums als privater Stif-
tung Leipziger Bürger, vor denen sich die Bach-Pflege in der Zwischen-
kriegszeit vollzog, waren erheblich und haben sich auf die Arbeit und auf
das Selbstverständnis des Konservatoriums ausgewirkt. Die finanziel-
le Lage des Konservatoriums und seiner Beschäftigten war ausgesprochen
schlecht. Die Zahl der Schüler hatte sich im Ersten Weltkrieg dramatisch
verringert, da viele Studierende zum Kriegsdienst eingezogen und Auslän-
der verfeindeter Staaten vom Studium ausgeschlossen worden waren. Die
Erträge aus dem Stiftungsvermögen waren infolge der Inflation eingebro-
chen und brachten kaum noch Gewinn. Zuschüsse aus öffentlicher Hand
mussten in Anspruch genommen werden, waren aber knapp bemessen und
boten keine längerfristig verlässliche Grundlage, da eine angestrebte Ver-
staatlichung scheiterte.9 Die Kunde von der Gründung einer staatlichen
Hochschule für Musik in Dresden musste unter solchen Umständen den
entsetzten Widerspruch des Leipziger Konservatoriums hervorrufen.10 Am
12. März 1920 erhob das Konservatorium beim Ministerium für Kultur und
7 Diethard Hellmann, Hrsg., Johann Sebastian Bach. Ende und Anfang. Gedenkschrift
zum 75. Geburtstag des Thomaskantors Günther Ramin (Wiesbaden: Breitkopf und
Härtel, 1973).
8 Hans-Joachim Schulze, Ulrich Leisinger und Peter Wollny, Hrsg., Passionsmusiken
im Umfeld Johann Sebastian Bachs. Bach unter den Diktaturen 1933–1945 und 1945–
1989. Bericht über die Wissenschaftliche Konferenz anlässlich des 69. Bach-Festes der
Neuen Bachgesellschaft Leipzig, 29. und 30. März 1994 (Hildesheim, Zürich und New
York: Olms, 1995).
9 Maren Goltz, Musikstudium in der Diktatur. Das Landeskonservatorium der Musik /
die Staatliche Hochschule für Musik Leipzig in der Zeit des Nationalsozialismus 1933–
1945 (Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2013), 39–45.
10 Neue Zeitschrift für Musik 87 (1920): 17.
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mann als Titel des Buches die verkürzte Überschrift eines Vortrags, den
Ramin 1954 an der Universität Zürich gehalten hatte: „Johann Sebastian
Bach. Ende und Anfang“. Der originale Titel hatte gelautet: „Johann Sebas-
tian Bach als Ende und Anfang und seine Bedeutung für die geistige Ent-
wicklung der Jugend“.7 Ramin stellte ganz bewusst das berühmte Diktum
eines früheren, berühmten Konservatoriumlehrers, Max Regers, von Bach
als „Anfang und Ende aller Musik“ um. Ein anderer Titel eines bis dahin
unveröffentlichten Beitrags von Ramin trägt die Überschrift „Bachs Tota-
lität in Werk und Wesen“. Die Wortwahl verweist direkt in den Bereich des
Totalitarismus des Dritten Reiches, in die gerade die hier geschilderte Leip-
ziger Schule sich vielfach verstrickt hat. In teilweise erregten Auseinander-
setzungen ist dies in den letzten Jahrzehnten aufgearbeitet worden.8
Die wirtschaftlichen Probleme des Konservatoriums als privater Stif-
tung Leipziger Bürger, vor denen sich die Bach-Pflege in der Zwischen-
kriegszeit vollzog, waren erheblich und haben sich auf die Arbeit und auf
das Selbstverständnis des Konservatoriums ausgewirkt. Die finanziel-
le Lage des Konservatoriums und seiner Beschäftigten war ausgesprochen
schlecht. Die Zahl der Schüler hatte sich im Ersten Weltkrieg dramatisch
verringert, da viele Studierende zum Kriegsdienst eingezogen und Auslän-
der verfeindeter Staaten vom Studium ausgeschlossen worden waren. Die
Erträge aus dem Stiftungsvermögen waren infolge der Inflation eingebro-
chen und brachten kaum noch Gewinn. Zuschüsse aus öffentlicher Hand
mussten in Anspruch genommen werden, waren aber knapp bemessen und
boten keine längerfristig verlässliche Grundlage, da eine angestrebte Ver-
staatlichung scheiterte.9 Die Kunde von der Gründung einer staatlichen
Hochschule für Musik in Dresden musste unter solchen Umständen den
entsetzten Widerspruch des Leipziger Konservatoriums hervorrufen.10 Am
12. März 1920 erhob das Konservatorium beim Ministerium für Kultur und
7 Diethard Hellmann, Hrsg., Johann Sebastian Bach. Ende und Anfang. Gedenkschrift
zum 75. Geburtstag des Thomaskantors Günther Ramin (Wiesbaden: Breitkopf und
Härtel, 1973).
8 Hans-Joachim Schulze, Ulrich Leisinger und Peter Wollny, Hrsg., Passionsmusiken
im Umfeld Johann Sebastian Bachs. Bach unter den Diktaturen 1933–1945 und 1945–
1989. Bericht über die Wissenschaftliche Konferenz anlässlich des 69. Bach-Festes der
Neuen Bachgesellschaft Leipzig, 29. und 30. März 1994 (Hildesheim, Zürich und New
York: Olms, 1995).
9 Maren Goltz, Musikstudium in der Diktatur. Das Landeskonservatorium der Musik /
die Staatliche Hochschule für Musik Leipzig in der Zeit des Nationalsozialismus 1933–
1945 (Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2013), 39–45.
10 Neue Zeitschrift für Musik 87 (1920): 17.
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