Page 206 - Stati inu obstati, revija za vprašanja protestantizma, letnik XVII (2021), številka 33, ISSN 2590-9754
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povzetki, SYNOPSES, ZUSAMMENFASSUNGEN
räumte Luther lediglich die Möglichkeit ein, seine umstrittenen Thesen zu widerrufen;
daraufhin wurde ihm vom Kaiser eine eintägige Bedenkfrist gewährt. Am nächsten Tag,
dem 18. April, folgte der großartige Auftritt Luthers, worauf der Kaiser am 19. April per-
sönlich eine Antwort gab. So standen sich Kaiser Karl und der Mönch Luther buchstäb-
lich gegenüber. Und dies auf dem Reichstag, vor der höchsten Reichsvertretung, was bis
dahin völlig unvorstellbar gewesen war. Hier legte jeder der beiden Protagonisten seine
eigenen religiösen Gefühle und Wahrnehmungen dar, wobei er sich auf das eigene Ge-
wissen berief. Sie waren in einer sehr ungleichen Lage, nicht nur als Kaiser und Mönch,
sondern in einer viel schwierigeren Angelegenheit, nämlich der Kaiser als religiös „frei“
und Luther als ein rechtskräftig verurteilter und exkommunizierter „Ketzer“.

Die Causa Lutheri auf dem Reichstag zu Worms war keineswegs rein religiöser Na-
tur, sondern es spiegelten sich darin umfassendere gesellschaftlich-religiöse Zustände
einer Wendezeit. Die Auseinandersetzung kulminierte im Konflikt zwischen dem „kul-
turellen“ Rom und einem barbarischen „Germanentum“, was aus der Korrespondenz
des päpstlichen Gesandten Hieronymus Aleander deutlich hervorgeht. Zum großen
Verständnis für Luthers Widerstand gegen Rom trugen im Reichstag auch etliche jahr-
zehntealte deutsche Beschwerden (Gravamina nationis germanicae) bei, die im Reichs-
tag diskutiert, jedoch in Rom nicht ernst genommen wurden.

Und so kam es dazu, dass zu den Haupakteuren im Fall Luther auf dem Reichstag zu
Worms Martin Luther, Kaiser Karl V., der sächsische Kurfürst Friedrich der Weise und
der päpstliche Sondergesandte Hieronymus Aleander gehörten. Obwohl jeder der Pro-
tagonisten auf dem Reichstag zu Worms seinen eigenen „Sieg“ feierte, war der eigent-
liche Gewinner Martin Luther, der einen beispiellosen Erfolg bereits dadurch erzielte,
dass er auf dem Reichstag zu Worms auftrat, dass er seine Thesen nicht zurücknahm
und dass ihm Kaiserschutz gewährt wurde, um nach Wittenberg zurückzukehren. Ob-
wohl Luther seine grundlegenden Reformschriften bereits 1520 veröffentlichte, war der
Weg zur Reformation erst jetzt geebnet. Der auf der Rückreise „entführte“ Luther nahm
sich daraufhin die Übersetzung der Bibel ins Deutsche vor, die zur einzigen anerkann-
ten religiösen Grundlage wurde, und er ließ seine Theologie in die Übersetzung einflie-
ßen. Um seinen Glauben zu vermitteln, bediente er sich seiner deutschen Mutterspra-
che; ihre Bedeutung demonstrierte er bereits auf dem Reichstag zu Worms, als er zuerst
Deutsch sprach und erst danach, für diejenigen, die kein Deutsch verstanden, wie z. B.
der Kaiser und der Papstlegat Aleander, auf Lateinisch. Auf Deutsch wurden auch die
Flugblätter und -schriften gedruckt, die auf der Straße verteilt wurden und über das Ge-
schehen zu Worms informierten.

Auf den ersten Blick war der Ausgang des Reichstages für Luther ungünstig, da das
vom Kaiser am 26. Mai unterzeichnete und auf den 8. Mai datierte Wormser Edikt, das
aber ein Akt des Kaisers und kein Beschluss des Reichstags war, Luthers Verurteilung
legitimierte. Das Edikt wurde vom Legaten Aleander verfasst, bei dem Entstehen des
Textes nahm aber auch der spätere Lehrer Trubars, Peter Bonomo, teil. Doch hatte das
Edikt für Luther keine fatalen Folgen, da es vom Kaiser nicht nach Sachsen übersandt
wurde und der sächsische Kurfürst folglich nicht daran gebunden war, die Reichsacht

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