Page 49 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2023. Glasbena društva v dolgem 19. stoletju: med ljubiteljsko in profesionalno kulturo ▪︎ Music societies in the long 19th century: Between amateur and professional culture. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 6
P. 49
„linke“ und „rechte“ amateurchöre im wien des 19. jahrhunderts ...
waren diese 280 Personen weitestgehend Amateure, wobei zu bedenken ist,
daß es damals in adeligen und großbürgerlichen Kreisen zum guten Ton
gehörte, privaten Klavier- und Gesangsunterricht zu genießen. Das spricht
aber nur für die Qualität des Gesangs, nicht aber für eine versteckte Profes-
sionalität im Sinne des Broterwerbs.
Bekanntlich war dieses frühe Monsterkonzert die Initialzündung für
die Gründung der Gesellschaft der Musikfreunde, in deren Verband auch
in den nächsten Jahrzehnten riesige Amateur-Chöre auftraten. So wurde
ein Jahr später, am 11. und 14. November 1813, Händels „Timotheus“ mit 704
Mitwirkenden wiederholt, wobei niemand geringerer als der Hofkapell-
meister Salieri die Chöre einstudierte – sie umfaßten mindestens 70 Per-
sonen mehr als 1812, also ca. 350.6 Und die Tradition der Monsterkonzerte
blieb viele Jahrzehnte aufrecht. Wir springen in das Jahr 1837, als am 5. und
7. November „zur fünfundzwanzigjährigen Jubelfeyer der Gründung der
Gesellschaft der Musikfreunde“ Joseph Haydns „Schöpfung“ von 1012 Mu-
sikerinnen und Musikern aufgeführt wurde – wieder in der „k. k. Winter-
reitschule“. Der Zuwachs betraf ausschließlich den Chor (1. und 2. Violinen
etwa gab es diesmal je 59); der Chor bestand aus 223 Sopranen, 153 Altistin-
nen, 158 Tenören und 160 Bässen – 694 singenden Amateuren. Wie war das
möglich? In einem Dankschreiben der Gesellschaft finden wir die Lösung:
Die vorzüglichsten Künstler und Kunstfreunde Wiens [...] so wie
die HH. Capellmeister und Chorregenten der hiesigen Kirchen be
eilten sich, theils selbst ihre Mitwirkung anzubiethen, theils ande
re geübte Mitglieder anzuwerben, und wenige Proben genügten zur
angemessenen Vorbereitung der Aufführung.7
Damit sind wir bei den Kirchenchören, die es in Wien ab 1823 als of-
fizielle, behördlich angemeldete Vereinigungen gab; damals wurde der
Kirchenmusikverein Schottenfeld gegründet (vorher waren meist Profis
mit einzelnen kirchennahen Amateuren musikalisch tätig); das geschah
so spät, weil die Metternichsche Diktatur jedwede Vereinigung als poli-
tisch gefährlich ansah. Und so mußten auch Kirchenmusik-Vereinigun-
gen behördlich geprüft und genehmigt werden; zusätzlich aber auch von
dische Blätter für den österreichischen Kaiserstaat, Nr. 100 (12. Dezember 1812): 597–
600, hier 599.
6 Wiener allgemeine musikalische Zeitung, Nro. 46 (1. Dezember 1813): Sp. 712ff.
7 Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, Denkschrift zur 25jährigen Jubelfeier der Ge
sellschaft der Musikfreunde des österreichischen Kaiserstaates, durch Aufführung der
Schöpfung am 5. November 1837. Von einem Kunstfreunde (Wien, 1840, o. p.).
47
waren diese 280 Personen weitestgehend Amateure, wobei zu bedenken ist,
daß es damals in adeligen und großbürgerlichen Kreisen zum guten Ton
gehörte, privaten Klavier- und Gesangsunterricht zu genießen. Das spricht
aber nur für die Qualität des Gesangs, nicht aber für eine versteckte Profes-
sionalität im Sinne des Broterwerbs.
Bekanntlich war dieses frühe Monsterkonzert die Initialzündung für
die Gründung der Gesellschaft der Musikfreunde, in deren Verband auch
in den nächsten Jahrzehnten riesige Amateur-Chöre auftraten. So wurde
ein Jahr später, am 11. und 14. November 1813, Händels „Timotheus“ mit 704
Mitwirkenden wiederholt, wobei niemand geringerer als der Hofkapell-
meister Salieri die Chöre einstudierte – sie umfaßten mindestens 70 Per-
sonen mehr als 1812, also ca. 350.6 Und die Tradition der Monsterkonzerte
blieb viele Jahrzehnte aufrecht. Wir springen in das Jahr 1837, als am 5. und
7. November „zur fünfundzwanzigjährigen Jubelfeyer der Gründung der
Gesellschaft der Musikfreunde“ Joseph Haydns „Schöpfung“ von 1012 Mu-
sikerinnen und Musikern aufgeführt wurde – wieder in der „k. k. Winter-
reitschule“. Der Zuwachs betraf ausschließlich den Chor (1. und 2. Violinen
etwa gab es diesmal je 59); der Chor bestand aus 223 Sopranen, 153 Altistin-
nen, 158 Tenören und 160 Bässen – 694 singenden Amateuren. Wie war das
möglich? In einem Dankschreiben der Gesellschaft finden wir die Lösung:
Die vorzüglichsten Künstler und Kunstfreunde Wiens [...] so wie
die HH. Capellmeister und Chorregenten der hiesigen Kirchen be
eilten sich, theils selbst ihre Mitwirkung anzubiethen, theils ande
re geübte Mitglieder anzuwerben, und wenige Proben genügten zur
angemessenen Vorbereitung der Aufführung.7
Damit sind wir bei den Kirchenchören, die es in Wien ab 1823 als of-
fizielle, behördlich angemeldete Vereinigungen gab; damals wurde der
Kirchenmusikverein Schottenfeld gegründet (vorher waren meist Profis
mit einzelnen kirchennahen Amateuren musikalisch tätig); das geschah
so spät, weil die Metternichsche Diktatur jedwede Vereinigung als poli-
tisch gefährlich ansah. Und so mußten auch Kirchenmusik-Vereinigun-
gen behördlich geprüft und genehmigt werden; zusätzlich aber auch von
dische Blätter für den österreichischen Kaiserstaat, Nr. 100 (12. Dezember 1812): 597–
600, hier 599.
6 Wiener allgemeine musikalische Zeitung, Nro. 46 (1. Dezember 1813): Sp. 712ff.
7 Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, Denkschrift zur 25jährigen Jubelfeier der Ge
sellschaft der Musikfreunde des österreichischen Kaiserstaates, durch Aufführung der
Schöpfung am 5. November 1837. Von einem Kunstfreunde (Wien, 1840, o. p.).
47