Page 69 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2023. Glasbena društva v dolgem 19. stoletju: med ljubiteljsko in profesionalno kulturo ▪︎ Music societies in the long 19th century: Between amateur and professional culture. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 6
P. 69
zur kulturellen und politischen bedeutung der deutschen männergesangvereine

aus Westgewölk ein Blitz,
Verderben auf die Heiden,
O selig, wer im Kampfe fällt,
im Himmel fortan steht sein Zelt!20
Martialische Rhythmen markieren bereits in solistischen Paukenein-
leitung das Stück, Trompetensignale von 4 Hörner, 3 Trompeten und 4 Po-
saunen geblasen geben dem Allegro maestoso seinen militärischen Cha-
rakter. Der Text wird in traditioneller Weise rhetorisch umgesetzt mit
Sechzehnelverzierung zu „schmücket“, Dreiklangsmelodik der Trompe-
ten hin zu langem Spitzenton mit Oktavsprung abwärts), chromatischer
Abwärtsbewegung zu „bluten“, im Mittelteil der dreiteiligen Liedform „Un
poco più lento“ wird der Text „selig“ melismatisch ausgeschmückt und der
Tod „im Kampfe fällt“ mit einem Seufzer bedacht. Die musikalischen Mit-
tel. die Lachner einsetzt, unterscheiden sich nicht grundsätzlich von seinen
anderen Kompositionen, sondern textbedingt in ihrem mengenmäßigen
Einsatz. Wie Mendelssohn hat auch Lachner für verschiedene gesellschaft-
liche Strömungen passend geschaffen.
So Anton Bruckner. Er hat, was in der Rezeptionsgeschichte ziemlich
untergegangen ist, für Männerchöre über 30 Werke komponiert, einige mit
Instrumentalbegleitung. Dies reicht vom Jahre 1863, einem Germanenzug
für 4st. Männerchor, Soloquartett und Blechbläser WAB 70, erstmals auf-
geführt am 5. Juni 1865 auf dem 1. Österreichisch-Salzburgischen Sänger-
bundesfest in Linz, bis 1893 zu der mächtigen Chorballade für 4st. Män-
nerchor und Orchester Helgoland WAB 71, für das 50jährige Jubiläum des
Wiener Männer-Gesang-Vereins komponiert. Beide Texte hat der österrei-
chische Schriftsteller und Revolutionär August Silberstein verfasst, beide
besingen den „Allvater“, als der in den germanische Schöpfungsmythen
der mittelalterlichen Edda-Literatur Wotan bezeichnet wird, als eine der
spät eingeführten Figuren ursprünglich durchaus in Anlehnung an den
christlichen Gott. Im 19. Jahrhundert wird er zur Gegenfigur, Silbereisen
macht sich dies zunutze und besingt in Helgoland beide gleichzeitig, Allva-
ter und Herrgott. Musikalisch kommt dies nicht nur bei Bruckner dadurch
zur Geltung, dass die traditionelle Tonsprache konzertanter Kirchenmusik
auf den weltlichen Text angewendet wird. Der Unterschied besteht vor al-
lem darin, dass Kirchenchöre seit dem 19. Jahrhundert in der Regel eine ge-
mischte Besetzung aus Frauen- und Männerstimmen aufweisen.

20 Franz Lachner, Kriegsgesang von Ferdinand Freiligrath nach Thomas Moore. Chor für
Männerchor und Orchester, op. 181 (Leipzig: Breitkopf & Härtel, [1877]).

67
   64   65   66   67   68   69   70   71   72   73   74