Page 91 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2023. Glasbena društva v dolgem 19. stoletju: med ljubiteljsko in profesionalno kulturo ▪︎ Music societies in the long 19th century: Between amateur and professional culture. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 6
P. 91
funktionen der musikvereine in einem multinationalen, soziokulturellen umfeld ...

praktisches Musikfach: Ruckgaber und Mikuli waren erstrangigen Pianis-
ten, Mieczysław und Adam Sołtys waren hochprofessionellen Dirigenten,
dazu alle erteilten sehr erfolgreich den Unterricht. Das hohe professionelle
Niveau und entsprechende Charakterzüge der Persönlichkeit der Leiter ge-
währleisteten nicht zuletzt den Erfolg der Entwicklung solcher komplizier-
ten gesellschaftlichen Organisation wie der laienhafte Musikverein mit al-
len seinen mannigfaltigen Abteilungen.

Drittens: die Leitung des Vereins berücksichtigte die günstige geogra-
phische Lage des Landes und seiner Hauptstadt Lemberg an der Kreuzung
wichtiger europäischer Wege von Ost nach West. Deswegen konnte man in
Lemberg eine Vielzahl prominentester Musiker aus ganz Europa hören (die
Liste der Künstler, die die Stadt mit den Gastauftritten besuchten, umfasst
einige hundert Personen, darunter – Franz Liszt, Johannes Brahms, Gus-
tav Mahler, Richard Strauß, Pablo Sarasate, Maurice Ravel und mehrere
andere, nicht weniger berühmte Namen). Verschiedene Innovationen und
Einflüsse erreichten Lemberg und Galizien von allen Ecken und Enden, sie
sind mit den ständigen Interesse angenommen und analysiert, dabei (es
ist auch eine Besonderheit der Lemberger Kultur) die radikalsten Experi-
menten der Musikkunst fanden kein richtiges Verständnis entweder in den
Kreisen der ausgebildeten Laien, oder bei den professionellen Musiker.20

Es scheint wichtig die Gründe, warum bescheidene Laienmusikverei-
ne über einen so langen chronologischen Zeitraum eine so wichtige öffent-
liche Stellung behielten zu systematisieren. Auf solche Weise könnte man
argumentiert erklären, warum erhielt der GMV respektable staatliche Sub-
ventionen und Unterstützung von Mäzenen, warum die Elite der Gesell-
schaft, darunter Vertreter höchster adeliger und gar königlicher Familien
dem Rat und der Führung des Vereines beigetreten sind. Auch die Konzer-
te, die der Verein organisierte, erfreuten sich großer Beliebtheit, was be-
sonders bemerkenswert scheint: nicht nur die Auftritte größter Künstler
aus aller Welt, sondern auch mit eigenen Kräften vorbereitete Program-
men. Diese Position des Lemberger Musikvereines kann wirklich als ein-
zigartiges Phänomen interpretiert werden. Obwohl könnte man irgendeine
eindeutige Erklärung für dieses Phänomen finden, muß man dem Verein
seine außerordentlich bedeutende Rolle in der galizischen (und nicht nur)
Gesellschaft lassen.

20 Damit könnte man die große Vorliebe des Lemberger Publikums zu den Opern von
Richard Wagner und paar Jahrzehnte später eine allgemeine Distanz (außer den un-
zahlreichen Adepten) zur Musik von Arnold Schönberg erklären.

89
   86   87   88   89   90   91   92   93   94   95   96