Page 199 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2024. Glasbena kritika – nekoč in danes ▪︎ Music Criticism – Yesterday and Today. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 7
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musikjournalismus vs. musikkritik heute: überleben oder fortstreben?

Auch amerikanischer Wissenschaftler Robert D. Schick behauptet,
„critic are subject to pressures from a variety of sources, including letters
from the general public and from composers“5 und Mathias O. C. Döpfner
resümierte trefflich, Musikkritik sei „im Doppelten Sinne Diskussionsgegen-
stand – als musikalisches Urteil und als Typus an sich“.6

Schon Mitte des letzten Jahrhunderts schlug der berühmte deutsche
Theoretiker und Komponist Herbert Eimert vor, man solle von der Defini-
tion „Musikkritiker“ generell zu verzichten:

Aus den Polizei- und Hotelmeldungen dürfte die Berufsbezeichnung
„Musikkritiker“ nahezu verschwunden sein, nicht nur, weil der Kriti-
ker entweder sein Metier nebenher ausübt oder im günstigsten Falle Re-
daktionsbeamter geworden ist und sich dann als Pressevertreter, Re-
dakteur, Schriftleiter oder Journalist bezeichnet, sondern auch, weil das
empfindlichere Sprachgefühl das Unangemessene herausspürt, das sich
mit dem Wort in seiner eigentlichen Bedeutung verbindet.7

Bewusst oder unbewusst offenbart Eimert in seiner etwas spottender
Argumentation eine von ewigen Kernfragen der Musikkritik: ob jeder, der
über Musik schreibt, kann als der Kritiker genannt werden? Ist es nicht die
höchste Zeit, diese Definition und dabei auch die Grenzen der Konzepte zu
erweitern?

Die Ideen von Herbert Eimert setzt teileweise Werner Braun in seinem
Buch „Musikkritik: Versuch einer historisch-kritischen Standortbestim-
mung“8 fort, indem er drei wichtigsten Typen von Musikkritiker (Kritiker,
Rezensent und Referent sowie Musikschriftsteller) zu definieren versucht9.
Es ist symptomatisch, dass keiner von solchen als „Journalist“ bezeichnet
ist, obwohl jeder doch die Attitüden des Faches trägt.

Auch Matthias Döpfner unterscheidet nur zwei Typen von Kritikern –
der Literat und der Musiker. Der erste als „musikkundiger Journalist“ hat

den Beruf aus Liebe zum geschriebenen Wort, aus Faszination am We-
sen der Presse ergriffen. Seine schreibende Tätigkeit gilt hauptsächlich
5 Robert D. Schick, Classical Music Criticism [=Perspectives in Music Criticism and
Theory, Vol. 2] (New York: Routledge, 1996), 52.
6 Mathias O. C. Döpfner, Musikkritik in Deutschland nach 1945: inhaltliche und for-
male Tendenzen; eine kritische Analyse (Frankfurt am Main: Lang, 1991), 13.
7 Herbert Eimert, „Zur Kritik“, Melos, Nr. 20 (1953): 206.
8 Werner Braun, Musikkritik: Versuch einer historisch-kritischen Standortbestimmung
(Köln: Musikverlag Hans Gerig, 1972).
9 Ibid., 27.

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