Page 63 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2024. Glasbena kritika – nekoč in danes ▪︎ Music Criticism – Yesterday and Today. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 7
P. 63
hugo wolf als musikkritiker im „streitbaren“ wien der 1880er jahre
unfreundlichen Nacht [...] vor einer Annoncensäule [...] eifrig bemüht war,
das Programm der Philharmoniker zu entziffern“. Eröffnet wird der Text
mit einem Seitenhieb auf die damalige Mode, Bach zu spielen:
Bach ist beim philharmonischen Publikum zur fashion geworden und es
gehört zum guten Ton, sämmtliche Bach’sche Cantaten auf den Fingern
herzuzählen [...] Wie Mancher macht wohl den Umweg über sämmt-
liche Bach’sche Compositionen, die er hören möchte, um schließlich
beim „lustigen Krieg“ oder, wenn’s gut geht, beim des-Walzer Chopin’s
anzuhalten. [...] Brahms? Wetter! Der macht dem alten Bach Concur-
renz im Classischen. [...] Schumann, Schubert, Mendelssohn – Dwořák?
Doch um Gotteswillen keine Symphonie? Nein! slavische Rhapsodie,
– in Gottes Namen. [...] Rob. Fuchs? Aha, wieder eine Serenade? Nein,
eine Symphonie. Rob. Volkmann – wahrscheinlich eine Symphonie?
Nein, eine Serenade. Nächstes Jahr wird’s umgekehrt: Symphonie von
Volkmann, Serenade von Fuchs. Immerhin. Abwechslung muß sein,
und die Philharmoniker verstehen sich darauf, wahrhaftig! – Penthesi-
lea von Goldmark. – Ein herrlicher Vorwurf für die musikalische Bear-
beitung; aber das Talent des Componisten reicht nicht aus für die Größe
dieses Stoffes. Ein Makart nur hätte die Penthesilea in Farben, ein Liszt
oder Berlioz nur musikalisch sie versinnlichen können. Kein Anderer
vermag es. – Aber ist das schon die ganze Herrlichkeit des Program-
mes? Ha! Richard Wagner: Eine Faust=Ouverture. Die mögen wir im-
mer gern hören! – Warum man nur das Siegfried=Idyll nicht aufführt?
Warum nicht die neue Venusberg=Musik, die man auch in der Oper nie
zu hören bekommt? Warum nicht Stücke aus den Nibelungen, aus Par-
sifal? Warum? Warum?28
Dietmar Langbergs edierte in seiner Publikation als letzten Beitrag
Hugo Wolfs für das Wiener Salonblatt dessen Rezension vom 3. April
188729 mit grundsätzlichen Bemerkungen zu Bedeutung sowie Problemen
von Liederabenden; danach kritisierte Wolf die Programmierung, aber
auch die Ausführung des Liederabends, den der Bariton Theodor Reich-
mann am 28. März im Großen Musikvereinssaal gab. So bezeichnete er als
„Geschmacklosigkeit“,
drei Lieder von so nichtsnutziger Art, wie die [Hermann] Riedel’schen
in das Programm [...] aufzunehmen? Glaubt Herr Reichmann dem
Componisten förderlich zu sein, wenn er dessen Blößen vor aller Au-
gen aufdeckt, oder glaubt er dieselben durch seine schöne Stimme ge-
28 Ibid., 6–7.
29 Wolf, „Musik“, 3. April 1887, 10.
63
unfreundlichen Nacht [...] vor einer Annoncensäule [...] eifrig bemüht war,
das Programm der Philharmoniker zu entziffern“. Eröffnet wird der Text
mit einem Seitenhieb auf die damalige Mode, Bach zu spielen:
Bach ist beim philharmonischen Publikum zur fashion geworden und es
gehört zum guten Ton, sämmtliche Bach’sche Cantaten auf den Fingern
herzuzählen [...] Wie Mancher macht wohl den Umweg über sämmt-
liche Bach’sche Compositionen, die er hören möchte, um schließlich
beim „lustigen Krieg“ oder, wenn’s gut geht, beim des-Walzer Chopin’s
anzuhalten. [...] Brahms? Wetter! Der macht dem alten Bach Concur-
renz im Classischen. [...] Schumann, Schubert, Mendelssohn – Dwořák?
Doch um Gotteswillen keine Symphonie? Nein! slavische Rhapsodie,
– in Gottes Namen. [...] Rob. Fuchs? Aha, wieder eine Serenade? Nein,
eine Symphonie. Rob. Volkmann – wahrscheinlich eine Symphonie?
Nein, eine Serenade. Nächstes Jahr wird’s umgekehrt: Symphonie von
Volkmann, Serenade von Fuchs. Immerhin. Abwechslung muß sein,
und die Philharmoniker verstehen sich darauf, wahrhaftig! – Penthesi-
lea von Goldmark. – Ein herrlicher Vorwurf für die musikalische Bear-
beitung; aber das Talent des Componisten reicht nicht aus für die Größe
dieses Stoffes. Ein Makart nur hätte die Penthesilea in Farben, ein Liszt
oder Berlioz nur musikalisch sie versinnlichen können. Kein Anderer
vermag es. – Aber ist das schon die ganze Herrlichkeit des Program-
mes? Ha! Richard Wagner: Eine Faust=Ouverture. Die mögen wir im-
mer gern hören! – Warum man nur das Siegfried=Idyll nicht aufführt?
Warum nicht die neue Venusberg=Musik, die man auch in der Oper nie
zu hören bekommt? Warum nicht Stücke aus den Nibelungen, aus Par-
sifal? Warum? Warum?28
Dietmar Langbergs edierte in seiner Publikation als letzten Beitrag
Hugo Wolfs für das Wiener Salonblatt dessen Rezension vom 3. April
188729 mit grundsätzlichen Bemerkungen zu Bedeutung sowie Problemen
von Liederabenden; danach kritisierte Wolf die Programmierung, aber
auch die Ausführung des Liederabends, den der Bariton Theodor Reich-
mann am 28. März im Großen Musikvereinssaal gab. So bezeichnete er als
„Geschmacklosigkeit“,
drei Lieder von so nichtsnutziger Art, wie die [Hermann] Riedel’schen
in das Programm [...] aufzunehmen? Glaubt Herr Reichmann dem
Componisten förderlich zu sein, wenn er dessen Blößen vor aller Au-
gen aufdeckt, oder glaubt er dieselben durch seine schöne Stimme ge-
28 Ibid., 6–7.
29 Wolf, „Musik“, 3. April 1887, 10.
63