Page 243 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2025. Glasbena interpretacija: med umetniškim in znanstvenim┊Music Interpretation: Between the Artistic and the Scientific. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 8
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analyse des rhythmus als mittel der interpretation ...
            nächsten Handposition springen. Wenn die Achtelnote als ein „Sprung-
            brett“ fungiert, was in diesem Tempo auch notwendig ist, dann ist der Ak-
            zent unvermeidbar. 4












            Notenbeispiel 1: Rondo à la mazur in F-Dur, op. 5, T. 37–44.

                 Ein langer Ton stellt auch jenseits der Gruppenbildungen eine hervor-
            zuhebende Besonderheit dar. Bereits in den Klavierschulen des 18. Jahr-
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            hunderts (zum Beispiel von Quantz  oder Türk ) wurde betont, dass ein
            solcher hervorgehoben werden soll, und dies gilt bis heute als eine „Ma-
            xime“ im Klavierunterricht. Am Klavier lässt sich dies dadurch argumen-
            tieren, dass die längeren Töne allmählich verschwinden. Dieses Problem
            beschreibt auch Stein und führt unter anderem eine geschickte Pedalfüh-
            rung oder größere Tonfülle für die langen Töne als mögliche Lösungen
            an.  Er schreibt außerdem, dass „[e]in guter Interpret […] dem Ton die In-
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            tensität [gibt], die den Zuhörer schon beim Anschlag des Tons spüren läßt,
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            wie lange er dauern soll“  und hebt insbesondere die langen Töne am An-
            fang der Phrase hervor, denn sie müssen zum nächsten Ton überbrücken
            können. 9
                 Kommt ein langer Ton im polyphonen Gefüge vor, so soll er auch
            klanglich hervorgehoben werden, um sich über die „gesamte Zeitdauer ge-
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            gen die übrigen Stimmen behaupten [zu] können“,  wie in Sobotziks Dar-
            stellung der Interpretationslehre Schnabels unterstrichen wird. Etwas an-
            ders drückt dies der Klavierpädagoge Heinrich Neuhaus aus: Lange Töne
            4    Siehe auch op. 21, 3. Satz, T. 409–413 (Anfang der Coda).
            5    Siehe: Richard Hudson, Stolen Time: The History of Tempo Rubato (Oxford: Claren-
                 don Press, 1994), 125.
            6    Siehe Werner Sobotzik, Artur Schnabel und die Grundfragen musikalischer Interpre-
                 tationspraxis (Norderstedt: Books on Demand, 2005), 91.
            7    Stein, Musik. Form und Darstellung, 46.
            8    Ibid.
            9    Ibid., 157–8.
            10   Sobotzik,  Artur Schnabel und die Grundfragen musikalischer Interpretationspraxis,
                 92–3.


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