Page 245 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2025. Glasbena interpretacija: med umetniškim in znanstvenim┊Music Interpretation: Between the Artistic and the Scientific. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 8
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analyse des rhythmus als mittel der interpretation ...
            zum a‘‘ steigenden Linie wirken lässt. Solche komplexeren Phrasenverläufe
            sind bei Chopin keine Seltenheit.


















            Notenbeispiel 2: Sonate Nr. 3 in h-Moll, op. 58, 1. Satz, T. 41–48.

                 Als Nächstes werden T. 1f. des 13. Prélude (Notenbeispiel 3) betrachtet.
            Aufgrund des langen cis‘ in der Mittelstimme in T. 2 können Rückschlüs-
            se für die Gestaltung des Zweitakters gezogen werden. Anhand des lan-
            gen Tons und dessen möglicher Betonung sowie des metrischen Schwer-
            punkts ist der Fis-Dur-Akkord in T. 2 als der Phrasenhöhepunkt des ersten
            Zweitakters interpretierbar. Ein Abphrasieren nach diesem Akkord lässt
            unter anderem das lange cis‘ besser hörbar bleiben. Die Harmonik zeigt
            aber gleichzeitig ein anderes Bild: Nach eineinhalb Takten Fis-Dur kommt
            erst in der zweiten Hälfte von T. 2 ein Dominantseptakkord, der ebenso als
            ein Spannungspunkt interpretiert werden könnte. Dieses für Chopin typi-
            sche Ineinanderspiel der analytischen Parameter lässt mehrere Lösungen
            zu. Neben einer Entscheidung für die eine oder die andere Sichtweise kann
            auch eine Synthese folgendermaßen versucht werden: Der erste Schlag des
            T. 2 wird als der Phrasenhöhepunkt und der lange Ton cis´ gewisserma-
            ßen als Teil einer Vorhaltsharmonie zur Dominante betrachtet. Dies ist un-
            ter anderem durch ein crescendo im ersten und ein diminuendo im zweiten
            Takt (mit diesem Akkord als Höhepunkt) interpretierbar. Die durch den
            Leitton und die Septime hinzugefügte Spannung in der zweiten Takthälfte
            lässt sich dann etwa durch ein agogisches Zögern unterstützen. So ermög-
            licht die Verwendung verschiedener interpretatorischer Mittel die Hervor-
            hebung beider Ereignisse. Ferner möglich ist ein Absehen vom zu starken
            diminuendo im zweiten Takt oder ein späterer Anfang der dynamischen
            Reduktion (erst nach dem Auftritt der Dominante), was das Kulminations-
            feld verlängert.


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