Page 87 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2023. Glasbena društva v dolgem 19. stoletju: med ljubiteljsko in profesionalno kulturo ▪︎ Music societies in the long 19th century: Between amateur and professional culture. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 6
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funktionen der musikvereine in einem multinationalen, soziokulturellen umfeld ...

am Pariser Konservatorium. Wegen der Revolution 1848 verließ er Frank-
reich und führte für die nächsten 10 Jahre das Leben eines Konzertvirtuo-
sen, während er gleichzeitig Klavier in seiner Heimatstadt Czernowitz un-
terrichtete. In Lemberg lebte Mikuli fast 40 Jahre: 1858 bis zum Tod im Jahr
1897. Fast 30 Jahre – bis 1887 – leitete er den GMV und das Konservatori-
um bei ihm. Dem Karol Mikuli verdankte das Lemberger Musikleben seine
außerordentlich intensive und fruchtbare Entwicklung, die Grundlage der
fundamentalen Professionalisierung der Musik in allen Sphären: Kompo-
sition, Interpretation (in der ersten Reihe – in der Klavieraufführung, aber
auch in anderen, wie Gesang, Violine, Chor usw.), Musiktheorie, Musikpä-
dagogik. Dank dem Mikuli als dem Direktor des Konservatoriums erfolg-
te die Annahme neuer Statuten mit klar definierten Prioritäten für die Be-
rufsausbildung. Aus diesem Grund erhielt das Konservatorium 1880 den
Status einer Staatlichen Hochschule. Für seine mannigfaltigen Leistungen
im Kulturleben der Stadt zeugen manche sehr interessante Pressennach-
richten. Man erwähnt nur an die paar besonders bemerkenswerten Äuße-
rungen. Im Bericht für 1862/1863 finden wir eine hohe Wertschätzung für
Mikulis Aktivitäten als Leiter der GMV und seines Chores:

Von dem Moment an, als er die künstlerische Leitung übernahm
(GMT. - T. M.), es wurde zu einem Tempel der echten Kunst, ge­
wann Anerkennung und Sympathie der Region. [...] Abgesehen von
seinen Aufgaben, nachdem er Talent und Zeit dem Frauenchor, ge­
schickter Führung und unermüdlicher Höflichkeit gewidmet hatte,
gelang es ihm, Einheit zu erreichen und die wöchentlichen Chor­
aufgaben auf das Niveau der Lieblingsaktivitäten unserer Damen
zu heben.16
Aber dabei genau diese musikalische Emanzipation brachte dem Mi-
kuli viel Bekümmernis:

Die singenden und nicht singenden Damen (im weiblichen Chor
GMV – die Autoren) fordern die Einladungen und der Begegnun­
gen mit der Dankbarkeit. Mikuli hat keine Zeit - sie ärgern sich.
Provinzielle Aristokratin wünschen nicht, der eigenen Stimmen im
Chor zu hören, in dem irgendeiner Leinrock (auf solche Weise han­

16 Sprawozdanie Dyrekcyi galicyjskiego Towarzystwa muzycznego za rok 1862
przedłożone ogólnemu zgromadzeniu dnia 26. April 1863 [Bericht des Direktoriums
des Galizischen Musikvereins für das Jahr 1862, vorgelegt an die Generalversamm-
lung, 26. April 1863] (Lwów: Z drukarni E. Winiarza, 1863), zit. nach: Mazepa. Das
soziokulturelle Phänomen, 152.

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