Page 106 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2025. Glasbena interpretacija: med umetniškim in znanstvenim┊Music Interpretation: Between the Artistic and the Scientific. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 8
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                 Wunderbare Aida, die bezaubernde und geistvolle Lorelei (in Alfredo
                 Catalanis gleichnamiger Oper - L.K.), mit der rätselhaften Botticelli-
                 Schönheit fesselnde Brünnhilde (in [Wagners - L.K.] „Walküre“, „Sieg-
                 fried“,  „Götterdämmerung“),  erhabene  Elisabeth  („Don  Carlos“),  die
                 ätherleichte und zugleich ausdrucksvolle Adriana Lecouvreur (in der
                 gleichnamigen Oper von Francesco Cilea – L. K.), vor Leidenschaft zit-
                 ternde Isolde, die auch die königliche Würde nicht verliert - in all die-
                 sen Gestalten war Kruschelnytska die, wie man zu sagen pflegt, große
                 Künstlerin. 14
                 Das zweite Beispiel betrifft ihr Kammerrepertoire, das ebenfalls einer
            kurzen Erklärung bedarf. Wann sie auch mit 49 Jahre ihre Opernkariere
            beendete und dadurch das traurige Schicksal jener Primadonnen, die nur
            mit früherer Ruhm leben, vermied, am Zenit ihrer Bühnenerfolge zögerte
            sie nicht, die Ausrichtung ihrer Auftritte im Alter von fünfzig Jahren zu än-
            dern und weiter im Kammerrepertoire auftreten. Dafür studierte sie spezi-
            ell einige Jahre umfangreichen Kammerrepertoires.
                 Der erste Auftritt von Kruschelnytska als Kammersängerin in New
            York fand am 4. Februar 1928 im Mecca-Auditorium statt, wo sie ein Rezi-
            tal mit dem Titel „Lieder aller Völker“ gab. Wie ein anonymer Rezensent
            am nächsten Tag in der „The New-York Times“ schrieb:

                 Krushelnytskas Stimme zeichnet sich durch Kraft und Flexibilität aus,
                 was schon bei den ersten italienischen Arien von Monteverdi deut-
                 lich wurde. Auch Respighis „Nobile“ und de Fallas spanisches Tanz-
                 lied „Hota“ wurden von ihr in hervorragender Weise vorgetragen. Pade-
                 rewskis „Dudar‘s Lied“ wurde auf Polnisch vorgetragen. Danach folgte
                 eine Reihe von Liedern in französischer und deutscher Sprache. Sie sang
                 auch Cadmans „Water as Blue as the Sky“ in englischer Sprache. Ob-
                 wohl Krushelnytskas Englische nicht die beste jener acht Sprachen war,
                 in denen sie sang, zeigte sie in diesem Lied einen viel tieferen emotiona-
                 len Ausdruck als die meisten amerikanischen Künstler ihrer Zeit.
                 Vito Cornevalli begleitete die Sängerin. Zum Abschluss des Konzerts
                 präsentierte Krushelnytska eine interessante Auswahl ihrer ukraini-
                 schen Heimatlieder und eine breite Palette von anderen Werken, dar-
                 unter Rachmaninoff und Mussorgsky. In diesen [ukrainischen - L.K.]
                 Stücken, wie auch in den italienischen, die sie zu Beginn des Konzerts

            14   Zit. nach: Iryna Kryworutschka, „Die Sängerin Salomea Kruschelnytska,“ in Lem-
                 berg: eine Reise nach Europa, Hrsg. Hermann Simon, Irene Stratenwerth, Ronald
                 Hin richs (Berlin: s.n., 2007), 210.


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