Page 26 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2025. Glasbena interpretacija: med umetniškim in znanstvenim┊Music Interpretation: Between the Artistic and the Scientific. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 8
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Mit Beginn der Saison 1870/71 übersiedelte man mit den Abonnement-
konzerten in den Goldenen Saal des im Jänner 1870 eröffneten Musikver-
einsgebäudes, eine schlechthin ideale Wirkungsstätte, die durch ihre akus-
tischen Qualitäten Klangstil und Spielweise des Ensembles beeinflusst(e).
Mit Hans Richter, dem legendären Dirigenten der Bayreuther Urauffüh-
rung von Wagners Tetralogie Der Ring des Nibelungen und längst-dienen-
den „Abonnementdirigenten“, gelang die Etablierung als Orchester von
Weltruf und unverwechselbarer Tradition. Dazu trugen auch Begegnungen
mit Franz Liszt, Richard Wagner, Giuseppe Verdi, Anton Bruckner oder Jo-
hannes Brahms bei, die als Dirigenten und/oder Solisten mit den Philhar-
monikern konzertierten. In der als „Goldene Ära“ bezeichneten Amtszeit
Richters wurden die Vierte und Achte Symphonie von Bruckner, die Zweite
und Dritte Symphonie und die Tragische Ouvertüre von Brahms sowie das
Violinkonzert von Peter Iljitsch Tschaikowsky uraufgeführt.
Mit Gustav Mahler, Hofoperndirektor von 1897 bis 1907, trat das Or-
chester anlässlich der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 erstmals im
Ausland auf, die eigentliche Reisetätigkeit setzte allerdings erst im Som-
mer 1922 ein, als man per Schiff nach Südamerika fuhr. Musikhistorisch
von großer Bedeutung ist die enge Beziehung zu Richard Strauss: Zwischen
1906 und 1944 dirigierte er 85 Konzerte im In- und Ausland und brachte in
Oper und Konzert einige seiner Werke zur Uraufführung. Einen weiteren
Höhepunkt in der Geschichte des Orchesters stellt die intensive Zusam-
menarbeit mit Arturo Toscanini in den Jahren 1933 bis 1937 dar.
1938 griff auf brutalste Weise die Politik in das philharmonische Ge-
schehen ein: Die Nationalsozialisten entließen fristlos alle jüdischen
Künstler aus dem Dienst der Staatsoper und lösten den Verein Wiener Phil-
harmoniker auf. Nicht zuletzt die Intervention Wilhelm Furtwänglers be-
wirkte eine Annullierung des Auflösungsbescheides und rettete die nach
der damaligen unmenschlichen Terminologie als „Halbjuden“ und „Ver-
sippte“ stigmatisierten und bedrohten Mitglieder vor Entlassung und Ver-
folgung. Dennoch hatten die Philharmoniker die Ermordung von sechs ih-
rer pensionierten (beziehungsweise 1938 nach der nationalsozialistischen
Machtübernahme aus dem Dienst der Staatsoper entlassenen) jüdischen
Mitglieder in den Konzentrationslagern sowie den Tod eines jungen Gei-
gers an der Ostfront zu beklagen.
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs setzte das Orchester seine 1933 be-
gonnene Linie fort und band alle bedeutenden Dirigenten an sich: Wil-
helm Furtwängler, Erich Kleiber, Otto Klemperer, Hans Knappertsbusch,
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